Russlanddeutsche Geschichte in der Kontroverse 1986-91
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Kapitel 2. Zeit der Hoffnungen, 1988-89

 

2.1. Rußlanddeutsche in russischsprachigen Medien

2.2. Geschichte der Wolgadeutschen

2.3. Geschichte der Sibiriendeutschen

2.4. Rechtliche, politische und wirtschaftliche Fragestellungen

 

2.1. Rußlanddeutsche in russischsprachigen Medien

Der Zeitraum von Ende 1987 bis Anfang 1988 schien ein Wendepunkt auf dem Weg der Konsolidierung von Anhängern der Perestrojka zu sein. Zu dieser Zeit erschienen in der Moskauer Zeitung “Neues Leben” zum ersten Mal Forderungen – zunächst in Leserbriefen artikuliert – nach der Wiederherstellung der ASSR der Wolgadeutschen. Offensichtlich haben die Redakteure des zentralen deutschen Presseorgans den frischen Wind aus dem Kreml verspürt. Enthusiastisch begrüßte ich diese Wende in einer Zuschrift und wies auf die Überfälligkeit eines solchen Schrittes hin (Urtext russisch vom 17.01.88). Einige Wochen später kam ein ausgedehnter Beitrag des Chefredakteurs des Wochenblattes, Wladimir Tschernyschew heraus, in dem er in einer vorsichtigen Form für die Gleichberechtigung der Deutschen, darunter auch für ihre territoriale Autonomie, plädierte. (1) Vorerst beschränkte sich die Diskussionen auf einen kleinen Kreis von Eingeweihten, da die Beiträge in den Spalten des “Neuen Lebens” ausschließlich in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Dies änderte sich in dem Augenblick, als die russischsprachigen Medien begannen, die sowjetischen Bürger über das ihnen bislang völlig unbekannte Schicksal der “einheimischen” Deutschen aufzuklären.

Als ersten Versuch kann man die Publikation in der Zeitung “Kusbass”, Gebiet Kemerowo in Sibirien bezeichnen, wo Ende der achtziger Jahre 48.000 Deutsche ansässig waren. (2) In einer Auflage von 260.000 Exemplaren erschien im August 1987 der Beitrag des Schriftstellers Wil Rudin “Woran können die Deutschen sich erinnern?” (3) Die ganze Gerüchteküche, die jahrzehntelang geschickt um die Rußlanddeutschen aufgebaut wurde, kam hier zum Vorschein. Eingangs wies der Autor sehr kurz, jedoch mit zahlreichen Fehlern, auf die Einladung 1773 (!) der Kolonisten aus deutschen Ländern und ihre Ansiedlung im Unteren Wolgagebiet hin, erwähnte in einem Satz die Gründung 1921 (!) und die Auflösung 1941 der Wolgadeutschen Republik. Nach diesen knappen Zeilen ging Rudin schnell zu einem Thema über, in dem er sich offensichtlich besser auszukennen wähnte: die Rolle der deutschen Minderheiten in den europäischen Staaten als “fünfte Kolonne” des deutschen Faschismus und ihre Spionage- bzw. Sabotagetätigkeit zugunsten des Dritten Reichs. Nach ausgiebiger Schilderung derer verräterischen Tätigkeit ging er nahtlos zur Beschreibung der verbissenen Kämpfe mit den feindlichen Diversionsgruppen im sowjetischen Grenzgebiet nach dem Angriff Hitler-Deutschlands über. Die schwierige Lage der Sowjetunion in den ersten Wochen und Monaten des Krieges wurde in Erinnerung gerufen: die Aufgabe von Weißrußland und dem Baltikum, schwere Kämpfe um Smolensk. Dazu noch der Umstand, daß ziemlich viele Deutsche in der Ukraine die Wehrmacht als Befreier empfingen. Und in dieser kritischen Situation, so der dramatische Höhepunkt – man darf nicht vergessen, Rudin ist doch Schriftsteller – entpuppte sich der Schauspieler eines Wandertheaters in der Wolgarepublik als ein deutscher Spion! In Anbetracht all dieser Tatsachen mußte die “Sowjetregierung mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß sich unter den Wolgadeutschen solche Personen befanden, die der Roten Armee in den Rücken hätten fallen können.” So sei auch die Übersiedlung der deutschen Bevölkerung im August - September 1941 völlig legitim gewesen. Die Schrecken der Arbeitslager tat er beiläufig als eine ganz normale Arbeitsmobilisierung in den Kohlengruben des Kusbass-Reviers ab, nicht ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben: ohne Kohle hätte es keinen Koks, keinen Stahl und letztendlich keinen Sieg gegeben. Und überhaupt, alle hatten in diesem Krieg schwere Entbehrungen hinzunehmen, über irgendwelche besondere Leiden der Deutschen wollte er nichts wissen. Nach solchen Ausführungen pries sich Rudin ungeniert in geübter “dialektischer” Manier als ein überzeugter Internationalist und führte zahlreiche aktuelle Beispiele von Deutschen an, die im Gebiet Kemerowo hoch angesehen waren bzw. leitende Positionen bekleideten. Kaum überraschend war seine Schlußfolgerung, daß die “Sowjet”deutschen heutzutage vollständig gleichberechtigt seien. Rudin konnte seine zum Teil germanophoben Äußerungen noch einmal ungehindert wiederholen, untermauert von passenden Leserzuschriften. (4) Die Redaktion räumte öffentlich erst anderthalb Jahre später ihr Fehlverhalten ein, welches sich in der Unterdrückung einer aufrichtigen Diskussion äußerte. (5)

    Wie man schon beim Lesen der Artikel erahnen konnte, handelte es sich bei diesem “Schriftsteller in Zivil” tatsächlich um einen langjährigen Mitarbeiter des KGB, der seit 1945 in Deutschland als Abwehroffizier im Einsatz war. Unter anderem nahm er während der Chruschtschew-Zeit auch an den gerichtlichen Rehabilitationen teil. (6) Seine Beiträge paßten haargenau in das Konzept der Geheimpolizei, vorerst an der Peripherie des Landes die Reaktionen der russischen Bevölkerung und der deutschen Minderheit auf derartige “geschichtlichen Wahrheiten” auszuloten. Die öffentlichen Verleumdungen provozierten z.T. heftige Reaktionen der Betroffenen. Rückblickend darf man den gewaltigen Mobilisierungseffekt nicht unterschätzen, den diese Publikationen unter den Rußlanddeutschen auslösten: in Dutzenden Exemplaren gingen die Kopien von den beiden Artikeln durch die ganze Sowjetunion und riefen zum Widerspruch auf. Meine Beanstandungen “Woran können die Deutschen sich nicht erinnern?” der Verzerrungen, Unterlassungen und der faktischen Fehler bei der Schilderung der geschichtlichen Abläufe blieben selbstverständlich ohne Antwort (Urtext russisch vom 19.01.88).

Ganz anders reagierten die Redaktion der Monatsschrift “Literaturny Kirgisstan” (Literarisches Kirgisien) und der Autor Gerhard Wolter auf die vorgebrachte Kritik. Eine ständige Rubrik “Das multinationale Kirgizstan” präsentierte seit Ende 1987 in fast jeder Ausgabe Geschichte, Kultur und gegenwärtige Lage einer Volksgruppe, die in der Republik ansässig war. Im Aprilheft 1988 dieser Literaturzeitschrift schilderte Wolter im Beitrag “Deutsche” zum ersten Mal in den russischsprachigen Medien ausgewogen und teilnahmsvoll die aktuellen Probleme der deutschen Volksgruppe. Die Emigrationsbewegung und kirchliche Gemeinden entstanden dem Autor nach nicht auf Geheiß der westlichen Propaganda, sondern waren eine natürliche Reaktion auf die mangelnde Berücksichtigung der sprachlichen, kulturellen und sozioökonomischen Bedürfnisse dieser Volksgruppe. Weiter beklagte er das Fehlen eines “konsolidierenden Zentrums” für die Deutschen in der UdSSR, welches bei den anderen sowjetischen Völkern ihre nationale Staatlichkeit bildet. Den eigentlichen Anlaß zu meiner kritischen Stellungnahme bot Wolters Behauptung, die Aussiedlung der Deutschen 1941 sei eine “gerechtfertigte und die einzig richtige” Maßnahme gewesen.

In einem Schreiben an die Zeitschrift (Kopie an die Zeitung “Neues Leben”) rief ich in Erinnerung, daß die Bolschewiki die Diskriminierungs- und Enteignungsmaßnahmen scharf verurteilten, die gegen die Rußlanddeutschen in den Jahren des Ersten Weltkrieges angeordnet wurden. Sogar die bürgerlichen Vertreter der Verwaltung und der Börsenausschüsse der Städte Saratow und Pokrowsk traten im Februar 1917 gegen die drohende Zwangsversteigerung des Besitzes und folglich die Aussiedlung der Kolonisten ein. Die Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen im Oktober 1918 mit der tatkräftigen Unterstützung Lenins zeigte unmißverständlich, daß mit der früheren Unterdrückungspolitik endgültig Schluß gemacht wurde. Es fragt sich, ob die Sowjetmacht in den Jahren 1918-19 nicht in einer noch größeren Gefahr war als 1941-42, wenn man die damalige wirtschaftliche Lage, konterrevolutionäre Erhebungen, deutsche Besatzung weiter Teile des Landes usw. in Betracht zieht? Aber niemand in der bolschewistischen Führung kam im Bürgerkrieg auf die Idee, bestimmte Völker zwangsauszusiedeln, weil es hier und da antisowjetische Aufstände gab. Unter Lenin herrschte das Klassenprinzip und ein echter proletarischer Internationalismus. Was die Wolgadeutschen betrifft, so spielte die Arbeitskommune eine wichtige Rolle bei der Lebensmittelversorgung von Moskau und Petrograd und stellte mehrere militärische Einheiten in der Roten Armee. Stalin dagegen verriet Lenins Erbe, fügte mit den massenhaften Repressalien der 1930er Jahre unter der Partei- und technischen Kader, unter Militärs dem Sowjetstaat großen Schaden zu. Auf seinen Befehl hin begann man schon vor dem Krieg, unliebsame Völker zu deportieren. Und für die katastrophalen Niederlagen zu Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges fühlte er sich natürlich nicht verantwortlich, daher mußten u.a. die Wolga- und andere Deutsche schwer büßen.

So meine Argumentation, die auch heute noch in die Denkweise eines guten Reformkommunisten passen würde (Urtext russisch vom 06.05.88). Die Redaktion von “Literaturny Kirgisstan” druckte eine stark verkürzte Fassung meines Briefes im Augustheft ab (Artikel russisch vom 08.1988). Etwas später erschien eine deutsche Übersetzung in der Zeitung “Neues Leben”, was in den kommenden anderthalb Jahren eine intensive Zusammenarbeit mit der Redaktion einleitete und mir eine gute Ausgangslage zur regelmäßigen Erörterung geschichtlicher und politischer Ereignisse bot (Artikel deutsch vom 14.09.88).

    Gerhard Wolter stimmte in einem Brief meinem Einwand zu: er durfte im November 1987, als der Aufsatz verfaß wurde, die Rechtmäßigkeit der Auflösung der ASSRdWD noch nicht in Frage stellen. Die Zeiten änderten sich tatsächlich rasant. Noch bis Mitte der achtziger Jahre empörte sich Wolter, damals Dozent am Lehrstuhl für Philosophie an der kirgisischen Kunsthochschule in Frunse (heute Bischkek), in zahlreichen Publikationen über “revanchistische Umtriebe” in der BRD und legte die Emigration als Ergebnis der westdeutschen “Zersetzungsaktivitäten” aus. (7) Doch er fand den Mut für einen Neuanfang, für eine sehr kritische Beurteilung des bis dahin Geschriebenen. Seitdem setzte er sein publizistisches und schriftstellerisches Talent hauptsächlich für eine schonungslose Aufklärung des erbarmungslosen Einsatzes der Rußlanddeutschen in den Zwangsarbeitslagern 1941-1946 ein. Er selbst überlebte nur durch einen Zufall das grausame Eintreiben beim Bau eines Hüttenkombinats im Ural. Schon im Novemberheft 1988 des “Literaturny Kirgisstan” erschien ein Aufsatz, in dem er grausame Tatsachen über Schicksale einfacher deutscher Frauen und Männern in verschiedenen sowjetischen Arbeitslagern (sog. “Trudarmija”) ans Tageslicht brachte. Zahlreiche Zuschriften von Augenzeugen, ihre erschütternde Erinnerungen lieferten ihm Stoff für das Buch “Die Zone der totalen Ruhe”, das in Rußland zweimal herausgegeben wurde und 2003 in deutscher Übersetzung erschien. (8) Mit einer anschaulichen und aufrichtigen Darstellung dieses Kollektivtraumas avancierte Gerhard Wolter zum “rußlanddeutschen Solschenizyn.” Auf seine persönliche Einladung hin weilte ich 1988-89 zwei Mal in Frunse (Bischkek). Wir trafen uns auch später noch in Moskau und in Deutschland; sein plötzlicher Tod 1998 war ein schwerer Schlag für die Bewunderer seines schriftstellerischen Talents.

Das populäre Moskauer Massenblatt “Nedelja” (Die Woche) veröffentlichte in der ersten Hälfte des Jahres 1988 zwei Artikel über den Helden der Sowjetunion Robert Klein und den aktiven Kriegsteilnehmer Paul Schmidt. Das veranlaßte mich in einer Zuschrift auf weitere patriotische Taten der Deutschen im “Großen Vaterländischen Krieg” aufmerksam zu machen (Artikel russisch vom 15.08.88). Vor allem auf die nachstehende Schilderung aus dem nun gedruckten Brief wurde sowohl in meinen weiteren Abhandlungen als auch in Beiträgen deutscher Publizisten oft verwiesen: “Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde auf dem Territorium des heutigen Gebiets Odessa von deutschen Umsiedlern die Kolonie Selz (seit 1944 Limanskoje) gegründet. Im Großen Vaterländischen Krieg kämpften 304 Einwohner von Selz-Limanskoje gegen den Feind an der Front, 109 davon fielen in den Kämpfen. Die Faschisten rechneten, nachdem sie das Dorf besetzten, mit seinen Einwohnern brutal ab, indem sie mehr als 250 Aktivisten, darunter den Deputierten des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR I. I. Kurz, den Kolchosvorsitzenden I. G. Richter, seine Frau und seine sechs Kinder, den Brigadeleiter M. N. Tulmann und seine Familie, die Lehrerin R. A. Deuberi, das KPdSU-Mitglied seit 1924 M. I. Martisson, zu Tode quälten. Nachdem man nach langen Foltern M. I. Martisson auf den Dorfplatz führte und ihr befahl, öffentlich zu bereuen, daß sie, eine Deutsche, sich “den Kommissaren verkaufte”, warf die mutige Frau den Hitlerleuten ins Gesicht: “Ihr seid Faschisten, und wie alle ehrlichen Menschen hasse auch ich euch. Ihr werdet alle vernichtet. Es lebe die Sowjetmacht!” (9) Allerdings ist es mir bis heute nicht gelungen, diesen Fall, den ich aus der mehrbändigen Geschichte der Städte und Landsiedlungen in der Ukraine entnahm, auf den Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Ein Beitrag in der angesehenen Tageszeitung “Iswestija” (Nachrichten) über den berühmten russischen Schriftsteller Wladimir Galaktionowitsch Korolenko (1853-1921), auch das “Gewissen Rußlands” genannt, (10) wurde zum Anlaß genommen, folgendes Problem anzusprechen: Für mich war es immer zutiefst deprimierend immer wieder zu erfahren, wie viele bekannte Publizisten, Journalisten, Schriftsteller, Historiker und sonstige Intellektuelle während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges ihr ganzes Talent in den Dienst einer primitiven germanophoben Propaganda gestellt hatten. Hier sei lediglich auf W. Rosanow, F. Sologub, F. Ern im zarischen Rußland oder auf solche sowjetische Literaten wie A. Tolstoi, L. Leonow oder I. Erenburg verwiesen. (11) Um so erfreulicher war die “Entdeckung”, die ich bei historischen Studien machte, daß ausgerechnet Korolenko den Mut zeigte, die staatliche Willkür und antideutsche Hysterie anzuprangern. An einer Stelle in seinem Tagebuch vom 9. Februar 1916 notierte er mit tiefem Bedauern den Beschluß der Russischen Akademie der Wissenschaft, ausländische Mitglieder aus Deutschland und anderen gegnerischen Staaten auszuschließen und fand, daß solche Taten “für längere Zeit, wenn nicht für immer, die wissenschaftliche Solidarität zwischen den Völkern zerstört”. (12) Zugleich erhob Wladimir Galaktionowitsch seine Stimme gegen die Entrechtung der “russischen” Deutschen. Im Artikel “Über den Kapitän Kühnen” zeigte Korolenko teilnahmsvoll und mitfühlend, was in jener Zeit einem Bürger deutscher Herkunft in Rußland widerfahren konnte. (13) Seiner aufrichtigen Haltung in dieser Frage widmete ich einen Beitrag im “Neuen Leben” (Urtext russisch vom 01.05.88, Artikel deutsch 24.08.88). Hier einige Auszüge aus dieser leidenschaftlichen Fürsprache, die nach fast neunzig Jahren an Aktualität in keiner Weise verloren hat:

    “Es existiert eine “Dampfschiffgesellschaft Wolga”. Und seit jeher diente in dieser Gesellschaft Kapitän Kühnen. Er galt als guter Schiffsführer... Und dieser Kapitän war deutscher Herkunft. Die Wolga hat sich schon seit langem an solche Kapitäne Kühnens gewöhnt, wie sie sich an die Tataren und Mordowen abwärts des Kasan und weiter hinab noch an die Kalmücken und die Deutschen aus Sarepta gewöhnte. Entfernt von der Wolga [die Siedlung] Sarepta, die den Pugatschew und große Unruhen gesehen hat, und die Wolga wird nicht mehr so wie früher sein! In ihrem altertümlichen Gesicht würde ein Makel auftreten; etwas alltägliches, unabdingbares, bodenständiges geht verloren... Aber Kapitän Kühnen dient nicht mehr auf der Wolga. Das Unheil ist, daß er, ein russischer Untertan, der seinen Dienst an unserer lieben Wolga tadellos versehen hat, dennoch für einen Mann deutscher Abstammung gehalten wird, und dies kann irgendeiner nicht verwinden... Nieder mit den Deutschen! Gemeint sind aber nicht die Deutschen, die unsere Gefechtsstellungen bei Dwinsk bestürmen oder an unsere südliche Tür über Rumänien hinweg klopfen. Gemeint ist unser Kapitän Kühnen, d.h. der Mann, der für die Wolga eine ganze Generation von Schiffsführern ausgebildet hat und sich keiner Schuld bewußt ist. Denken sie, lieber Leser, darüber nach, wie viele solche Kühnens über das weite Rußland verstreut sind. Wie viele müssen jetzt schuldlos und sogar im Besitze großer Verdienste um das Vaterland stranden. Wieviel Tränen müssen diese Tausende schuldlose Menschen vergießen, wieviel Beleidigungen unverdientenmaßen über sich ergehen lassen, nur weil ihre Vorfahren Deutsche zu jener Zeit waren, als wir mit ihnen Freundschaft hielten. Die Geschichte mit dem Schiffsführer Kühnen ist kein belangloser Einzelfall, der einem “kleinen” Menschen widerfahren ist. Dies ist eine, wie die breite Wolgaer Frühlingsflut, unnötige Ungerechtigkeit. Derentwegen wird das gutmütige Rußland wohl Bedauern und Scham empfinden, wenn diese trübe Welle abgeflaut ist.”

Nicht immer begegneten die Autoren den vorgebrachten Einwänden so verständnisvoll wie Wolter. Einige Vorzeigedeutsche, die in der Sache der Bekämpfung des deutschen “Nationalismus” noch heiliger als der Papst sein wollten, verkannten irgendwie den Zeitgeist und glaubten noch 1989, den “wahren” Grund der Auswanderung der Deutschen aus der UdSSR in den Aktivitäten der westlichen Propagandisten zu erkennen. Die Parteizeitschrift in Kasachstan brachte darüber einen Aufsatz von Oleg Weidmann, einen Dozenten an der Fakultät für Journalistik der Kasachischen Staatsuniversität. (14) In diesem Artikel wurde vor allem die Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (LDR) angegriffen, die der Autor pauschal als einen “braunen Sumpf” diffamierte. Zum einen handelte es sich um Pastor Schleuning und andere Personen, die nach dem Oktoberumsturz nach Deutschland emigrierten und dort den Verein der Wolgadeutschen in Berlin gründeten. Schwere Vorwürfe zog auch Matthias Hagin, der langjährige Vorsitzende der Vereinigung der Wolgadeutschen in der BRD an sich, mit seinen Bemerkungen über die Hungersnot der Deutschen an der Wolga (15) genauso wie der “Spätheimkehrer” Reinhold Keil, der einige Zeit in der Redaktion der Zeitung “Freundschaft” tätig war. Auch der bekannte Historiker Benjamin Pinkus blieb nicht verschont, weil er über die tragische Vergangenheit der Rußlanddeutschen, dazu noch in den Publikationen der Landsmannschaft, zu schreiben wagte. (16) Der Zufall wollte es so, daß unsere Familie zu Beginn des Jahres 1989 den Gastbesuch meiner Tante erwartete, die schon mehrere Jahre in Pforzheim lebte. Ich bat sie im voraus, mir einige Heimatbücher der LDR und die gerade erschienen Monographien von I. Fleischhauer und B. Pinkus zu besorgen. (17) Es stellte sich heraus, daß Weidmann seine Ausführungen ausschließlich aus demselben “Heimatbuch der Deutschen aus Rußland 1973-1981” bezog, das mir die Tante gerade mitbrachte. Wohl in der Annahme, daß diese schwer zugängliche Edition praktisch niemandem bekannt war, wurden die Auffassungen der westlichen Autoren verzerrt dargestellt, Zitate oft falsch wiedergegeben und auf Quellenverweise verzichtet.

Darauf erwiderte ich mit einer bissigen Kritik der unsauberen Vorgehensweise des Alma-Atajer Dozenten, die wohl zu persönlich ausfiel (Urtext russisch vom 02.06.89, Artikel deutsch 28.07.89). Allerdings gab es 1989 keinen äußeren Zwang mehr, sich durch Ressentiments gegenüber den eigenen Landsleuten zu profilieren. Diese aggressive Position ließ auf feste politische Überzeugungen schließen. Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis sich die Redaktion des Parteiblattes entschloß, nach mehreren Konsultationen, u.a. mit dem Chefredakteur der Zeitung “Freundschaft”, meine Bemängelungen in stark gekürzter Form zu veröffentlichen (Artikel russisch vom 02.1990). Weidmann gab sich indes prinzipienfest und ließ ebenfalls in diesem Heft seine Erwiderungen drucken. Ein Dialog, wie dies mit Wolter der Fall war, fand nicht statt. Von vornherein handelte es sich in dieser Angelegenheit nicht um eine “gemeinsame Sache” - so bezeichnete Wolter in seinem Rückschreiben die vereinten Anstrengungen von Gleichgesinnten zum Herbeiführen einer positiven Lösung der “deutschen” Frage – sondern um grundlegend verschiedene Ansichten über die Vergangenheit und Zukunft der Rußlanddeutschen.

Zurück ins Jahr 1988. Im April wurde Konstantin Ehrlich zum Chefredakteur der Zeitung “Freundschaft” ernannt. Noch als Leiter des deutschen Lektorats beim Verlag “Kasachstan” zeigte er sich aufgeschlossen für geschichtliche Fragen. Schon 1982 erschien in seinem Büchlein “Lose Blätter” ein kurzer historischer Abriß von der Einwanderung der deutschen Bauern nach Rußland bis zur Gründung der Wolgadeutschen Republik. Angesichts der bescheidenen Möglichkeiten der deutschen Minderheit in Kasachstan lasen sich die Schilderungen der vielfältigen kulturellen Aktivitäten in der Ukraine und der ASSRdWD in den 1930er Jahren wie ein unausgesprochener Vorwurf. Seit 1985 trafen wir uns mehrmals in der kasachischen Hauptstadt und diskutierten offen über die Ereignisse von 1979 in Zelinograd, die er als Augenzeuge erlebte, und über zahlreiche “weiße Flecken” in der Geschichte der Rußlanddeutschen. Als ersten Schritt auf dem Weg der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte und Kultur der Rußlanddeutschen hatten wir die Zusammenstellung und Veröffentlichung einer Bibliographie vor, was jedoch aus verschiedenen Gründen nicht realisiert werden konnte. Immer wieder kamen wir auf die Chancen zur Wiederherstellung der autonomen Republik zu sprechen.

Mit Ehrlich kam eine engagierte Person an die Spitze der Zeitung, die für historische Fragestellungen und tagespolitische Probleme der deutschen Minderheit ein offenes Ohr hatte. Die Redaktion ließ sich nicht mehr von den heiklen Themen abschrecken; ständig tastete man sich zu den Grenzen des “Erlaubten” vor. Seine populärwissenschaftliche Darstellung “Lebendiges Erbe” (1988) war das erste publizierte Buch in der Sowjetunion seit 1941, das die rußlanddeutsche Geschichte zum Thema machte. Dank seiner Unterstützung konnte ich in der “Freundschaft” einige Abhandlungen über das wirtschaftliche, kulturelle und politische Leben der Deutschen in Zentralasien seit ihrer Ankunft Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichen.

Die XIX. außerordentliche Parteikonferenz, die Ende Juni – Anfang Juli 1988 in Moskau stattfand, löste in der Sowjetgesellschaft einen gewaltigen Schub in Richtung Liberalisierung und Offenheit aus. (18) Das zeigt sich u.a. in den Auseinandersetzungen mit dem “deutschen Problem”: mehrere zentrale Presseorgane brachten bis Ende des Jahres meist verständnisvolle Beiträge über das Schicksal der “sowjetischen Bürger deutscher Nationalität”. Deren Analyse widmete ich einen ausführlichen Artikel (Urtext russisch vom 26.01.89 und Artikel russisch vom 26.04.89). Seit September 1988 begannen die Zeitungen “Neues Leben” und “Freundschaft”, einen Teil ihrer Publikationen in russischer Sprache zu veröffentlichen. Bevorzugt wurden Abhandlungen zur historischen, kulturellen und sprachlichen Problematik wie auch wirtschaftliche, politische, rechtliche u.a. Stellungnahmen in Bezug auf die Wiederherstellung der territorialen Autonomie. Das führte zweifelsohne zu einer nie dagewesenen politischen Mobilisierung der breiten Schichten der deutschen Bevölkerung: der Kreis der potentiellen Leser russischsprachiger Artikel übertraf bei weitem die bescheidenen Zahlen der festen Abonnenten.

 

2.2. Geschichte der Wolgadeutschen

 

 Die erste Ausgabe der russischsprachigen Sonderbeilage der “Freundschaft” veröffentlichte meine historische Skizze über die Rolle der deutschen Wolgakolonien bei der Versorgung des Sowjetstaates mit Lebensmitteln. Eine Zeitlang verfolgte die bolschewistische Führung die Idee eines direkten Warenaustausches und organisierte für diesen Zweck im Sommer 1918 einige Expeditionen in die Getreideüberschußregionen. Mit Unterstützung von Lenin kam die erste derartige Schiffskarawane unter der Leitung von Sergei Malyschew, einem höheren Regierungsbeamten, im Spätsommer 1918 in das Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen. An dieser Umtauschaktion nahm der angehende Schriftsteller Isaak Babel als Kontorist teil und schilderte seine damaligen Eindrücke in der Erzählung “Dreifaltigkeitsblume”. (19) Ausdrücklich wurde in diesem Artikel auf die große Bedeutung hingewiesen, die Lenin der deutschen Arbeitskommune offenkundig beimaß (Artikel, russisch vom 03.09.88).Unerwähnt blieb dabei die ruinöse Wirkung der späteren gewaltsamen Eintreibungen von Getreide, die letztendlich zur katastrophalen Hungersnot von 1921-22 führten.

Die Beschäftigung mit dem Gründer des Sowjetstaates wurde von mir weiter fortgesetzt. Fast jeder sowjetische Historiker oder Schriftsteller, Künstler oder Parteipropagandist, der etwas auf sich hielt, widmete Wladimir Iljitsch eine oder mehrere Arbeiten. Dieses gesamte, schier grenzenlose Geschichts- und Kunstwerk, bestehend aus Hunderttausenden Gedichten, Erzählungen, Romanen, Erinnerungen, Liedern, Zeitungsartikeln, historischen Untersuchungen, Fotos, Radiosendungen, Filmen, Bildern, Skulpturen, geographischen Namen etc. auf russisch und in Dutzend anderer Sprachen der Völker der UdSSR hieß schlicht “leniniana”. Neben dem oben angeführten Artikel gehörte zu meiner persönlichen leniniana vor allem der Beitrag “W.I. Lenin und die Wolgadeutschen” (Urtext russisch vom 24.11.88, Artikel russisch vom 03-04.89). (20) Diese akribische Studie sollte einem einzigen Zweck dienen: Wenn wir die Rückkehr zu leninschen Normen des Partei- und Gesellschaftslebens anstrebten, so ging kein Weg an der Wiederherstellung der ASSRdWD vorbei, an derer Wiege der Gründer des Sowjetstaates stand.

Aus allen nun öffentlich zugänglichen Quellen trug ich unter Zuhilfenahme von kanonisierten sowjetischen Mustern (21) verstreute Hinweise und Informationen zusammen, die irgendeinen Bezug des Revolutionsführers zu den Wolgadeutschen hatten. Verstärkt wurde darauf hingewiesen, daß Lenin sich schon vor dem Ersten Weltkrieg eingehend mit den deutschen Siedlern beschäftigte: er stützte sich in seiner theoretischen Arbeit “Über die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland”, geschrieben in den Jahren 1896-1899, auf die ausführlichen statistischen Erfassungen des Gouvernements von Samara und Saratow und erwähnte dabei wirtschaftliche Erfolge der Kolonisten.

    Es handelte sich u.a. über die Semstwo-Statistik des Kreises Kamyschin, Gouvernement Saratow, in dem die Deutschen den höchsten Anteil an der Bevölkerung eines Kreises im Russischen Reich bildeten: von den 263.000 Personen, die 1886 hier wohnhaft waren, machten die Kolonisten 113.000 oder 43% aus: Sbornik statističeskich svedenij po Saratovskoj gubernii. Tom 11. Kamyšinskij uezd [Sammelband der statistischen Angaben über das Gouvernement Saratov. Band 11. Kreis Kamyschin]. Saratov 1891. Dieser Band enthält umfassende Angaben über die demographische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Entwicklung der wolgadeutschen Bauern, was mich dazu bewegte, einen eigenen Artikel darüber zu verfassen. Er erschien auf russisch und auf deutsch in der Zeitung “Freundschaft” (Urtext russisch vom12.07.88, Artikel russisch vom 16.12.88, Artikel deutsch vom 09.10.88)

Lenins spätere Nationalitätenpolitik – so im Aufsatz weiter – fußte auf dem echten Internationalismus, machte keinen Unterschied zwischen “einheimischen” oder “fremden” Ethnien und ging bei der Bildung von nationalen Autonomien nach allgemeingültigen Prinzipien vor (kompaktes Siedlungsgebiet, gemeinsame Sprache, andersartige Lebensweise usw.). Deshalb war die Gründung zunächst der Arbeitskommune (autonomes Gebiet) der Wolgadeutschen ein logischer und konsequenter Schritt, den Lenin entschieden befürwortete. Die Einwohner dieses Gebiets – die Volkszählung vom 28. August 1920 registrierte hier 454.386 Personen –  unterstützten tatkräftig die neue Macht nicht nur mit Lebensmitteln, sie stellten auch militärische Formationen auf. Diesmal wurde auf die schreckliche Hungersnot in der Unteren Wolgaregion und ihre Auswirkung auf die erst entstandene Autonomie eingegangen: alleine im Jahr 1921 starben 47.777 Menschen und weitere 80.000 wanderten aus. Dagegen war ich im November 1988, zum Zeitpunkt der Niederschrift des Manuskriptes noch nicht so weit, den Kausalzusammenhang zwischen den rücksichtslosen Lebensmitteleintreibungen und Ausplünderungen der Bauern und der darauffolgenden Hungersnot mit den Zehntausend elend verhungernden Menschen in seinen wahren Dimensionen zu begreifen und öffentlich zu artikulieren. (22) Einen größeren Platz nahm dagegen die Schilderung der Bemühungen ein, Hilfe für die Hungernden zu organisieren. Ferner verwies ich darauf, daß zu den engsten Mitstreitern von Iljitsch Gustav Klinger gehörte, ein ehemaliger Sozialist aus Saratow, der später zum Geschäftsführer der Komintern (Kommunistischen Internationale) avancierte und auf den ersten drei Kongresse dieser Organisation die wolgadeutschen Bolschewiki vertrat.

 Die intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Wolgadeutschen führte unweigerlich zu dem Bestreben, sie zumindest als eine eigenständige Ethnie (und nicht bloß als einen Splitter des deutschen Volkes) darzustellen, die dann auch in den Genuß von Autonomierechen kommen durfte. Man muß sich verdeutlichen, daß in der offiziellen sowjetischen Auffassung bis Ende der 1980er Jahre generell zwischen drei Typen von Völkern unterschieden wurde: Nationen (nacii), Völkerschaften (narodnosti) und nationale Gruppen (nacional’nye gruppy) bzw. Minderheiten (nacional’nye men’šinstva), wobei die letztere Bezeichnung seit Ende der dreißiger Jahre praktisch nicht mehr in Gebrauch war. Der noch 1913 von Stalin geprägte Nationsbegriff dominierte in der Nationalitätentheorie auch nach der Verurteilung seiner Untaten weiter: demzufolge ist eine Nation “eine historisch entstandene, stabile Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Kulturgemeinschaft offenbarenden psychischen Wesensart.” (23) Nur den Nationen und Völkerschaften wurde in der Sowjetunion das Recht auf Selbstbestimmung zugestanden, wobei als Nationen die namensgebenden Ethnien in den Unions- und autonomen Republiken fungierten. (24) Als Völkerschaften galten die bis zu 80.000 - 100.000 Personen zählenden indigenen Ethnien, die Territorien mit einem verminderten Status erhielten: autonome Gebiete bzw. Kreise. Die übrigen sowjetischen Völker, wenn sie überhaupt erwähnt wurden, bekamen in der Regel die Bezeichnung “nationale Gruppen”.

Als Oberbegriff für Nationen, Völkerschaften und nationale (Volks)Gruppen diente der Begriff “Nationalität” (nacional’nost‘), der inhaltlich mit “Ethnie” oder “Volk” (narod) übereinstimmte. Nach Aussagen eines sowjetischen Nationstheoretikers bevölkern die Sowjetunion mehr als hundert Nationalitäten, darunter 36 Nationen (nacij) und 32 Völkerschaften (narodnosti). (25) Laut der herrschenden marxistischen Lehre (oder was man dafür hielt) kam der wirtschaftlichen Faktoren bei der Entstehung und Weiterentwicklung der Nationen eine entscheidende Rolle zu. Aber da den verstreut lebenden Ethnien das gemeinsame wirtschaftliche Leben fehlte, konnten sie auch keinen Anspruch auf irgendeine Form der territorialen Autonomie erheben. Zum anderen lehnten die kommunistischen Parteiideologen jede Form der Kulturautonomie prinzipiell ab. Somit wurde den Völkern ohne einer Territorialautonomie jegliche Vertretung ihrer Interessen verweigert; sie standen auf der untersten Rangstufe der sowjetischen Nationalitätenhierarchie. Die ideologischen Zwänge der stalinschen Nationsauffassung versuchten sowjetische Wissenschaftler, in ersten Linie Ethnologen, mit Hilfe der Theorie von Ethnos zu überwinden. (26) Ungeachtet ihres in vieler Hinsicht innovativen Charakters zeigte sie auf die Praxis der sowjetischen Nationalitätenpolitik so gut wie keine Auswirkung.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß die Bezeichnung der Deutschen in der UdSSR als nacional’noe men’šinstvo von der rußlanddeutschen Öffentlichkeit immer sehr negativ empfunden wurde. Eine scheinbar akademische Frage der ethnischen Definition, vom Historiker Lew Maliniwski aufgeworfen, besaß somit eine handfeste politische Brisanz und rief eine emotionsgeladene Diskussion hervor. (27) Meine Ansichten darüber legte ich in einer Denkschrift dar (Urtext russisch vom 10.04.89). In erster Linie ging es darum, den Beweis zu erbringen, daß die Wolgadeutschen, im Unterschied zu den verstreut lebenden Ukraine-, Krim- oder Kaukasusdeutschen, schon vor der bolschewistischen Machtübernahme über wesentliche Merkmale einer künftigen Nation – gemäß der sowjetischen Nationalitätenlehre - verfügten. Die geschlossene Siedlungsweise der 650.000 Personen zählenden Volksgruppe (Stand: 1912), ihr 175-jähriges Aufenthalt im Russischen Reich in völliger Isolation von der alten Heimat unter ganz anderen geographischen, klimatischen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen führten bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zum Entstehen einer sozioökonomischen und sprachlich-kulturellen Einheit und zur Bildung einer neuen ethnischen Identität der Wolgadeutschen.

Unterstützt wurde diese These von den einschlägigen Beschlüssen der bolschewistischen Partei, die die Wolgadeutschen in den Kreis der vom Zarismus unterdrückten Völker aufnahmen und ihnen das Recht auf eine freie nationale Entwicklung und Schaffung einer eigenen Territorialautonomie zubilligte. In der Resolution des X. Parteitages der RKP (B) [Rußländische Kommunistische Partei der Bolschewiki] im Jahre 1921 “Über die nächsten Aufgaben der Partei in der nationalen Frage" hieß es: “Die Bevölkerungszahl der RSFSR [Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik] und der mit ihr verbundenen unabhängigen sowjetischen Republiken beträgt ungefähr 140 Millionen, fast 65 Millionen davon sind Ukrainer, Belorussen, Kirgisen, Usbeken, Turkmenen, Tadschiken, Aserbaidschaner, Wolgabulgaren, Krimtataren, Baschkiren, Armenier, Tschetschenen, Kabardiner, Osseten, Tscherkessen, Inguschen, Karatschajewer, Balkaren, Kalmyken, Karelier, Awaren, Darginer, Kazi-Kumuchen, Küriner, Kumyken, Mari, Tschuwaschen, Wolgadeutsche, Burjaten, Jakuten u. a. Die Zarenpolitik in bezug auf diese Völker bestand darin, die Anfänge jeder Staatlichkeit zu vernichten, ihre Kultur und Sprachen zu verstümmeln, sie in Unwissenheit zu halten und letzten Endes zu russifizieren. Die Ergebnisse dieser Politik sind die Unterentwicklung und die politische Rückständigkeit dieser Völker." (28)

In der Geschichte gab es mehrere Fälle des Entstehens von sog. “Einwanderernationen”, die als Ergebnis der durch Migration bedingten Abspaltung und der letztendlichen Verselbständigung von ursprünglichen Teilen einiger europäischen Völker entstanden sind: man denke nur an die Nationen von Nord- und Südamerika, an Südafrika, Australien oder Neuseeland. Die Ethnogenese der Frankokanadier ist dem der Wolgadeutschen am ähnlichsten: 1617 kamen erste französische Siedler nach Kanada und ließen sich am Sankt-Lorenz-Strom nieder. Im Jahre 1763 (als diese Gegend von den Engländern erobert wurde) zählte die französische Bevölkerung der Kolonie 70.000-80.000 Einwohner; seither fand keine neue französische Immigration statt. Dank des starken Bevölkerungszuwachses zählt diese Ethnie heute um die 8.7 Mio Personen, davon ungefähr 6,7 Mio. in der Provinz Québec, wo sie mehr als Dreiviertel der Bewohner stellen. Die Frankokanadier sind als eine politische Nation anerkannt und niemand bezeichnete sie als ein Teil des französischen Volkes. (29)

Fazit des Beitrages: Die Wolgadeutschen wurden bis 1941 als ein gleichberechtigtes Volk anerkannt. In der Autonomen Republik begann eine sozialistische Nation zu entstehen. In kulturell-sprachlicher Hinsicht erfüllte diese nationale Gebietseinheit die selben Funktionen wie die Tatarische Autonome Republik (wo sich nur etwa Einviertel der Ethnie befand) für die verstreut lebenden Landsleuten im Ural, Wolgagebiet oder Sibirien.

Wie groß diesbezügliche Verwirrungen (oder bewußte Irreführungen) sogar unter den prominenten Nationalitätenexperten waren, zeigt folgende Aussage: “Der Geschichte der nationalitätenstaatlichen Aufbaues [in der Sowjetunion] ist die Tatsache bekannt, daß eine nationale Minderheit die autonome Republik aufgebaut hat. Das war die Republik der Wolgadeutschen.” (30) Die Untersuchung von Boltenkowa stellte übrigens die erste Nachkriegsmonographie über die Politik der Partei in Bezug auf nationale Minderheiten in den Jahren 1917-1936 dar. Darunter verstand man Teile der Ethnie, die außerhalb ihrer nationalen Autonomien lebten bzw. solche Völker, die keine nationale Gebietseinheiten in den Grenzen der UdSSR besaßen: so waren es z.B. Ukrainer und Tataren in Kasachstan, Deutsche, Polen oder Juden in der Ukraine, Letten und Esten in Sibirien. Für solche Gruppen, v.a. auf dem Lande, wurden nationale Rayons, Dorfräte, Ausschüsse in den Exekutivorganen etc. gebildet, die in erster Linie den sprachlichen und kulturellen Belangen Rechnung tragen sollten. Im Zuge der Bestrebungen zur weitgehenden Homogenisierung der sowjetischen Gesellschaft löste die stalinistische Führung Ende der 1930er Jahren die nationalen Landkreise, Dorfräte, Schulen, Theater etc. auf bzw. profilierte sie in russischsprachige Anstalten um. Auch der Begriff “nationale Minderheit” verschwand aus den Parteidokumenten, Presseberichten und Publikationen. In der Besprechung lobte ich zum einen diese Pionierarbeit, die eine Fülle von bis dahin unbekannten Informationen enthielt. Zugleich konnte die beschönigende Darstellung der Kollektivierung der Landwirtschaft und die völlig ausgeblendeten Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen in Bezug auf die nationalen Minoritäten nicht ohne Kritik bleiben. Meine Mißbilligung fand auch die oben angeführte Aussage der Verfasserin zu den Wolgadeutschen (Urtext russisch vom 25.04.89).

    Allerdings wurden auch im Westen die nichtrussischen Völker der einstigen Sowjetunion pauschal als “nationale Minderheiten” bezeichnet, obwohl sich diese mehrere Millionen zählende Ethnien wie die Usbeken, Armenier oder Tataren von ihrem politischen Status und Selbstverständnis her in diese Kategorie kaum unterordnen lassen: sie haben ihr Territorium, eine eigene nationale Geschichte, lange schriftliche Tradition, staatliche Institutionen und ein stark entwickeltes Selbstbewußtsein. Deshalb schlugen einige Ethnologen und Politologen vor, zwischen “primären”, d.h. Völker mit einem Heimatterritorium und “sekundären” ethnischen Gruppen, die ohne ein solches auskommen müssen, zu unterscheiden. (31) Die begriffliche Verwirrung geht auch nach dem Zerfall der UdSSR weiter. Diesmal handelt es sich um die Rußländische Föderation (RF), wo es wieder, zumindest den einschlägigen Publikationen im deutschsprachigen Raum folgend, zwischen den beiden Typen von nichtrussischen Ethnien keinen Unterschied gemacht wird. (32) Zugespitzt kann man sagen, daß 69 Tsd. Altajer, die weniger als 0,1% der Bevölkerung der RF ausmachen, aber in ihrer Republik Gorny Altai einen Anteil von immerhin 31% stellen, sich nie als eine nationale Minderheit nach europäischem Verständnis bezeichnen würden.

Schließlich faßte ich meine bis dahin gemachten Überlegungen im folgenden Beitrag zusammen: “Die Wolgadeutschen: nationale Minderheit oder Nation?” (Urtext russisch vom 06.1989, Artikel deutsch vom 31.01.90). Unter Zuhilfenahme der obligatorischen Merkmale einer sowjetischen autochthoner Nation, wie einen kompakten Siedlungsraum, das Ausmaß der wirtschaftlichen Entwicklung vor und nach 1917, die Klassendifferenzierung, den Urbanisierungsgrad, das Vorhandensein des nationalen Proletariats, die gemeinsame Sprache und Kultur, die Verbundenheit zu Rußland bzw. zum russischen Volk usw. sollte die “Autonomiewürdigkeit” der Wolgadeutschen untermauert werden.

Diese Ansichten besprach ich mit Dr. Sergei Tscheschko, dem Abteilungsleiter am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und dem stellvertretenden Chefredakteur des führenden Fachorgans der sowjetischen bzw. russischen Anthropologen “Sowetskaja etnografija” (seit 1992 “Etnografitscheskoe obosrenie” [Ethnographische Rundschau]). Er gehörte zu den anerkannten Nationalitätenexperten und beschäftigte sich in erster Linie mit den Völkern Kasachstans und Mittelasiens. Wir machten uns Anfang 1988 in Dschambul bekannt, wo er mit anderen Mitarbeitern des Instituts Feldforschungen betrieb. Auf Grundlage empirischer Untersuchungen veröffentlichte Tscheschko einige fundierte Aufsätze über zwischenethnische Beziehungen der Rußlanddeutschen mit slawischen und turksprachigen Völkern. (33) Eine Zeitlang befürwortete er, wenn auch mit Einschränkungen, die Wiederherstellung der Wolgadeutschen Republik. (34)

Enttäuschend für mich in unserer kurzzeitigen, aber intensiven Diskussion war nicht nur der erwartete Einwand des Fachmanns, daß die meisten der aufgeführten Kriterien, aufgrund dessen die sowjetischen Völker in den 1920er-30er Jahren diese oder jene Form der territorialen Autonomie erhielten, archaisch bzw. künstlich waren. Das wußte ich mehr oder weniger selbst. Man sah auch ein, daß viele Probleme in den zwischenethnischen Beziehungen erst durch die bolschewistische Politik der Nationsbildung auf der Grundlage des Territorialitätsprinzips entstanden sind. Aber daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Rußlanddeutschen ihre berechtigten Forderungen zugunsten der “zukunftsweisenden” Konzepte fallen lassen sollten bei gleichzeitiger faktischer Nichtantastbarkeit der bestehenden territorialen Ordnung, rief zum Widerspruch auf. Zumal den Völkern mit einem national-staatlichen Gebiet in der damaligen UdSSR bzw. RSFSR politische Vertretung und Mitspracherecht in den höchsten Gremien auf der Bundesebene garantiert wurden und ihnen wesentlich mehr Möglichkeiten zur Wahrung der sozioökonomischen und sprachlich-kulturellen Interessen zur Verfügung standen und heute noch stehen.

Zum anderen sprach Tscheschko aufgrund der anhaltenden Auswanderung in die Bundesrepublik den Rußland- bzw. Wolgadeutschen die Eigenschaft als ein autochthones Volk in der Sowjetunion ab. Man darf nicht außer Acht lassen, daß in der russischen Mentalität die Emigration, das Verlassen des Staates, aus welchen Gründen auch immer, untrennbar mit Landesverrat assoziiert wird. Ich versuchte zu erklären, daß jahrzehntelange staatliche Politik der Bekämpfung der eigenständigen “sowjet”deutschen bzw. wolgadeutschen Identität (Absage an eine Regionalautonomie, “verdeckte” politische Rehabilitation, Verbot der historischen Forschungen usw.) entweder zu einer Assimilation oder zu weitgehender Identifizierung mit den Bundesdeutschen führte. Deshalb wäre eine vorbehaltlose Wiederherstellung der Autonomie ein zukunftsweisendes Zeichen, daß das erschütterte nationale Selbstverständnis wieder gestärkt hätte. Die Orientierung zur Emigration nach Deutschland war auch kein Wesenszug der rußlanddeutschen Geschichte. Noch vor 1917 setzte eine starke Auswanderungswelle aus den Schwarzmeer- und Wolgakolonien ins Ausland ein, aber überwiegend nach USA, Kanada und lateinamerikanische Staaten. Ihr lagen im wesentlichen soziale und wirtschaftliche Ursachen zugrunde. Der selbstbewußte deutsche Kolonist strebte eine unabhängige bäuerliche Existenz an, was seiner Lebensform mehr entsprach als sich durch einen Gesellendienst bei einem Junker oder als Arbeiter in einem Industriewerk zu verdingen. Auch nach 1917 flüchtete die rußlanddeutsche Landbevölkerung von der ruinösen Wirtschaftspolitik und Religionsverfolgungen der Bolschewiki nach Übersee. Erst Anfang der 1930er Jahre gelang es den sowjetischen Machthabern, den einst fest verwurzelten deutschen Bauern oder Handwerker im Zuge der Zwangskollektivierung endgültig zu einem besitzlosen Landproletariat zu degradieren, das in den organisierten Kolchosen und Sowchosen vollständig vom Staat abhängig war. Dieser erzwungene Wandel beseitigte die vorhandenen “Hemmungen”, nichtselbständige Tätigkeiten aufzunehmen. Berücksichtigt man dazu noch das Vorhandensein von Verwandten im westdeutschen Staat, den sog. “Administrativumsiedler” der Jahre 1943-44 und die bis 1990 gültige Regel, wonach nur Verwandte ersten Grades berechtigt waren, einen Ausreiseantrag zu stellen, so ist es auch kein Wunder, daß sich die aktuelle Auswanderung weitgehend auf die Bundesrepublik beschränkt. (35)

    Diese und eine Vielzahl anderer Einwände überzeugen den Nationalitätenexperten überhaupt nicht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Rußlanddeutschen in den Augen nicht nur der Mehrzahl der russischen Wissenschaftler und Politiker, sondern auch der Bevölkerung auf dem Territorium der ehemaligen Wolgarepublik, eines überzeugenden Zeichens ihrer Heimatverbundenheit schuldig geblieben sind. Würden Zehntausende von Deutschen unerlaubt und mit Hinnahme von zahlreichen Strapazen an die Wolga zurückkehren, ähnlich wie die Tataren auf die Krim, und jahrelang dem harten Widerstand staatlicher Behörden und neuer Nachbarn trotzen, so wäre dies die wahrscheinlich einzige Möglichkeit, ihr Recht auf Heimat zu erwirken.

    Später behauptete Sergei Tscheschko sogar, daß sich die deutsche Ethnie in der Rußländischen Föderation in einer privilegierteren Stellung als die russische Bevölkerung befand, weil sie die Option hätte, nach Deutschland auszuwandern und die darbenden Russen dagegen nicht. (36) Diese Urteilstrübung eines ausgewiesenen Wissenschaftlers ist wohl nur mit der schweren wirtschaftlichen und geistig-moralischen Krise des Landes in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zu erklären. Sein Buch über die Nationalitätenpolitik der untergangenen Sowjetunion weist starke apologetische Züge auf; immerhin können diesem Werk einige interessante Beobachtungen und scharfsinnige Analysen nicht abgesprochen werden. (37)

 

2.3. Geschichte der Sibiriendeutschen

     

 Noch zur Zeit der Interimsregenten Andropow und Tschernenko beschäftigte ich mich eingehend mit der Vergangenheit und der gegenwärtigen Lage der Sibiriendeutschen, worüber ich bereits 1987 ausführlich schrieb (Manuskript vom 10.05.87). Die Geschichte der deutschen Bauern in Sibirien in der Zwischenkriegszeit war in der UdSSR – übrigens ein einmaliger Vorgang in der sowjetischen Historiographie – schon vor dem Machtantritt Gorbatschews Gegenstand regionalhistorischer Untersuchungen, und zwar im Rahmen von Studien über nationale Minderheiten in den ersten Jahren der Sowjetmacht. 1967 durfte sogar Lew Malinowski, Mitarbeiter eines akademischen Instituts in Nowosibirsk, über die deutschen Siedler in Sibirien in den Jahren 1925-1936 an der Universität Tomsk promovieren. (38) Wenn diese Arbeit auch alle Maßnahmen der Sowjetmacht rechtfertigte und die Ergebnisse dieser Politik einseitig darstellte, so wäre eine ähnliche Untersuchung über die Schwarzmeer- oder Wolgadeutschen sowohl zu damaliger Zeit als auch später undenkbar gewesen.

    Diese stark apologetische Sichtweise hat der Historiker so verinnerlicht, daß von ihm noch Ende 1988 in einem Zeitungsartikel zu lesen war: “Ein beträchtlicher Teil der deutschen Bauern, ungeachtet der weit fortgeschrittenen Kooperierung, sabotierte einfach die Kollektivierung und – vor allem betrifft das die Mennoniten – zog es vor oder versuchte es zumindest, nach Kanada auszuwandern.” (39) Dieser Geschichtsklitterung hielt ich entgegen, daß die Emigration eine natürliche Reaktion der deutschen Bauern auf die brutalen Methoden der staatlichen Enteignungs- und Zwangspolitik war; es handelte sich so zu sagen um eine Form des bäuerlichen Widerstands (Urtext russisch vom 06.12.88, Artikel russisch vom 22.01.89).

    Nichtsdestotrotz hat sich Lew Wiktorowitsch Malinowski um die Volksgruppe verdient gemacht. Bis Ende der 1980er Jahre war er faktisch der einzige professionelle Historiker, der die Geschichte der Rußlanddeutschen erforschte und nach –sehr begrenzten – Möglichkeiten auch publizierte. (40) Seine Aufsätze z.B. im Almanach “Heimatliche Weiten” in den Jahren 1981-83 übten auf mich einen großen Einfluß aus; sie stellten die erste wissenschaftliche Untersuchung in der Sowjetunion über die deutsche Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg dar. (41) Als Dozent und später als Professor lehrte er in den 1970er-90er Jahren an der pädagogischen Hochschule und der Altajer Staatsuniversität in Barnaul, wo unter seiner Betreuung eine Reihe von Studenten ihre Diplomarbeiten über historische Probleme der deutschen Minderheit noch vor der Perestrojka schrieben. (42) Seine historischen und soziologischen Untersuchungen wurden massiv durch behördliche Einschränkungen und Publikationsschwierigkeiten beeinträchtigt; die längst vorbereitete Habilitationsschrift über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Schwarzmeerdeutschen im Zarenreich konnte erst 1986 eingereicht werden. (43) Es dauerte weitere vier Jahre, bis er an der Leningrader Universität habilitieren durfte.

    Durch seine bisweilen schroffe und für manch einen gefühllose (d.h. unparteiische) Ausdrucksweise löste er nicht selten Ärger bei den Schriftstellern und anderen, in der deutschen Frage engagierten Personen aus. (44) Zum erstenmal traf ich mich mit ihm persönlich im Nowosibirsker akademgorodok im Jahr 1985; auch später standen wir miteinander brieflich in Kontakt. Ich kann mich noch an folgende Kuriosität erinnern: in einem Beitrag im “Neuen Leben” kritisierte ich eine Tendenz der sowjetischen Geschichtsschreibung, deutsche Bauern nach ihrer Übersiedlung nach Sibirien oder Zentralasien als Stütze der “reaktionären” Zarenregierung zu diffamieren und schloß diese Aussage mit den Wörtern: “Und so [einen Unsinn] behaupten sogar Leute mit akademischem Titel.” (45) Darauf schrieb er mir einen aufgewühlten Brief und fragte, wieso ich ihn so behandeln würde, wo er dies denn geschrieben hätte und fügte hinzu: “Ich habe das Unglück, den Dr. zu führen, was mir einige nicht verzeihen können.” (Privatarchiv des Verfassers). Selbstverständlich waren im Artikel andere Historiker gemeint.

Mehrere Umstände führten dazu, daß in Sibirien die Geschichte der Deutschen in Rußland offener behandelt wurde als anderswo: die deutschen Bauern gründeten hier noch vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Siedlungen, schwerpunktmäßig um die Städte Omsk und Slawgorod (Region Altai), von wo sie 1941 nicht deportiert wurden. Geisteswissenschaftler aus der ältesten sibirischen Universität in Tomsk zeichneten sich durch eine vorurteilsfreie Erforschung der deutsch-russischen Beziehungen im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich aus. Weiterhin trug dazu die 1957 erfolgte Gründung einer Zweigstelle der Akademie der Wissenschaften in Nowosibirsk bei. Das alles sorgte für eine “deutschfreundlichere” Stimmung der Sibirer als die in anderen Landesteilen.

 Es lag indes nahe, die Wiederherstellung des Ende der dreißiger Jahre aufgelösten deutschen Rayon in der Region Altai zu fordern. Noch im April 1988 schickte ich der Zeitung “Rote Fahne”/Slawgorod einen geschichtlichen Abriß über diesen Landkreis zu, aber der Chefredakteur lehnte zu diesem Zeitpunkt derartige Publikationen ab. Schließlich wurde der Artikel mit einigen Veränderungen im “Neuen Leben” veröffentlicht (Urtext russisch vom 04.04.88, Artikel russisch vom 25.01.89).

 Anderthalb Jahre später wandte sich die Redaktion der Slawgoroder Zeitung - diesmal aus eigener Initiative - an mich mit der Bitte, mir einige Gedanken über die Zukunft der Deutschen in der Region Altai zu machen. Als Anlaß diente das Projekt der Plattform der KPdSU über die neuen Richtlinien in der Nationalitätenpolitik, die im August 1989 in den zentralen Presseorganen zu einer “Volksbesprechung” veröffentlicht wurden. (46) In dieser Denkschrift verglich ich u.a. die bescheidenen Möglichkeiten, die den 125.000 Altajer Deutschen zur Wahrung ihrer kulturellen und sprachlichen Bedürfnisse zugestanden wurden, mit den vielfältigen institutionellen Einrichtungen, die der 45.000 Personen zählenden ukrainischen Minderheit in der Tschechoslowakei im Rahmen des “Kulturbundes der ukrainischen Werktätigen” zur Verfügung standen. Weiter folgte der Lagebericht über Kirgisien, wo für mehr als 100.000 Deutsche ebenfalls fast nichts im sozialen oder kulturellen Bereich gemacht wurde, obwohl bereits 1988 mehr als 12.000 Personen in die Bundesrepublik umsiedelten, darunter etwa 6.000 Erwerbstätige. (47) Diese Haltung der Republikführung konnte man noch irgendwie “nachvollziehen”: wegen des starken Geburtenüberschusses herrschte in vielen Regionen Kirgisiens Übervölkerung und verdeckte Arbeitslosigkeit, so daß es wohl beabsichtigt war, die frei gewordenen Kolchoshöfe und Arbeitsplätze mit einheimischen Kräften zu belegen. Es stellt sich lediglich die Frage, wenn die Auswanderung in der Region Altai dieselbe Dimensionen wie in Mittelasien erreicht, woher denn die lokale Wirtschaft zusätzliches Personal in dieser unter chronischem Arbeitskräftemangel leidenden Provinz finden würde, um die entstandenen Lücken zu füllen.

Deshalb wäre es durchaus im Interesse der lokalen Provinzverwaltung, nicht nur den bis 1938 existierenden Deutschen Rayon wiederherzustellen, sondern das Entstehen eines Territorialgebildes mit zusätzlichen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rechten neben einer ständiger Vertretung in den legislativen und exekutiven Organen der Rußländischen Föderation und auf der regionalen Ebene zu befürworten, um eine reelle Alternative zur Emigration zu schaffen. Mir schwebte ein autonomer deutscher Kreis mit zwei gleichberechtigten Amtssprachen (russisch und deutsch) vor, in dem die Entwicklung des Rayonzentrums Halbstadt bis zum Jahr 2000 in eine mittlere Kreisstadt mit 20-25.000 Einwohnern vorgesehen, in dem eine pädagogische Hochschule, ein nationales Theater, Verlag, Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen etc. vorhanden wären, in dem vielfältige soziale und kulturelle Belange der deutschen und andersethnischen Bevölkerung berücksichtigt werden könnten, wo es denkbar wäre, eine Ausbildung oder ein Studium in deutschsprachigen Ländern aufzunehmen. Ein nationales Territorium, das nicht nur auf die Landwirtschaft und somit auf die Konservierung der sozialen und kulturellen Rückständigkeit ausgerichtet wäre, sondern mit einem urbanen Kern und modernen Wirtschaftszweigen eine ernst zu nehmende Alternative zur Auswanderung auch für die deutschen Stadtbewohner bieten könnte. (Urtext russisch vom 20.09.89, Artikel deutsch vom  23.12.89)

    Ähnliche Überlegungen im Hinblick auf die Wiederherstellung des deutschen Rayons prägten seit Ende der 1980er Jahre die Diskussionen in den regionalen Machtorganen und in der örtlichen Presse. Der Hintergrund war nicht nur die Sorge um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Abwanderung nach Deutschland oder die mangelnde kulturelle Betreuung der deutschen Bevölkerung, sondern in nicht minderem Maße der vermutete Austritt des Autonomen Gebiets Gorno-Altaisk aus dem Regionsverband im Zuge der beginnenden Souveränitätsbestrebungen der existierenden nationalen Territorien. (48) Man fürchtete bestimmte politische oder ökonomische Nachteile im Fall einer möglichen Umwandlung der Region in ein “einfaches” Verwaltungsgebiet und suchte durch die Schaffung eines neuen nationalen Territoriums dieses “Unheil” abzuwenden. Unter der Ägide des regionalen Exekutivkomitees wurde eine provisorische wissenschaftliche Gruppe gebildet, die sich mit den historischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, kulturelle etc. Fragen der möglichen deutschen Territorialautonomie im Altai befaßte. (49) Es wurde sogar vorgeschlagen, dort, wo sich früher der Deutsche Rayon befand, ein “Autonomes Land der Sowjetdeutschen” mit breiten Autonomierechten zu gründen. (50) Dieses Land sollte, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, eine eigene Verfassung und ein gewähltes Parlament mit gesetzgeberischen Funktionen besitzen, seine Vertreter auf die Unionsebene delegieren können und weitgehende Selbstverwaltung erhalten. Allerdings wurde die Wiederherstellung des Rayons “Halbstadt” im Juli 1991 und die Gründung des Deutschen Rayons “Asowo” in der Nähe von Omsk im Februar 1992 wieder in Form eines administrativen Landkreises vorgenommen, als ob sich die Deutschen in die ihnen zugewiesene Rolle der ewigen Kolchosniki einsperren lassen würden. Das Ergebnis war damit vorprogrammiert: bis Ende 1998 sind allein aus dem deutschen Rayon “Halbstadt” 80% der angestammten Bevölkerung ausgewandert. (51) Heutzutage fungieren die beiden Landkreise in erster Linie als Auffangbecken für Flüchtlinge und Migranten aus dem benachbarten Kasachstan. Ob die beiden administrativen Rayons mit der erdrückenden Dominanz der Landwirtschaft, mit fehlenden politischen Interessenvertretungen in den Machtorganen der RF und sozioökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten, mit einer archaisch wirkenden Folklorisierung des kulturellen Lebens eine wirkliche Zukunftsperspektive für die deutsche Minderheit in Rußland aufweisen können, darf getrost bezweifelt werden.

 

2.4. Rechtliche, politische und wirtschaftliche Fragestellungen

     

Neben den vorwiegend geschichtlich orientierten Fragen hielten einen die tagespolitischen Ereignisse im Bann. Der langsam in Schwung kommende Umbau des sowjetischen Bundesstaates führte zu einem erheblichen Zuwachs an Gestaltungsspielräumen der Unions- und autonomen Republiken. Angesichts dieser Entwicklung war es das Gebot der Stunde, das Problem der Völker ohne eines “autonomisierten Territoriums” (Halbach) zu artikulieren. (52) So nahm ich die Veröffentlichung von Thesen des ZK der KPdSU zu der 19. Unionsparteikonferenz zum Anlaß, um auf die Notwendigkeit der entsprechenden verfassungsmäßigen Schritte zu verweisen (Urtext russisch vom 10.06.88). Mit welch einem theoretischen “Gerüst” die Parteiideologen beabsichtigten, komplizierte Probleme der sowjetischen Ethnien ohne einen autonomen Status zu lösen, verdeutlichte folgender recht nebulöser Thesensatz: “Man soll dafür Sorge tragen, daß Nationen und Völkerschaften, die kein staatliches bzw. territoriales Gebilde besitzen, über mehr Möglichkeiten verfügen sollten, ihre Bedürfnisse auszudrücken und zu befriedigen”. (53) Im Brief nahm ich Bezug auf verschiedene Formen der “Berücksichtigung von Interessen nationaler Minderheiten” in den sozialistischen Ländern. Vorerst wurde auf die Volksrepublik China verwiesen, wo es nach dem sowjetischen Muster zahlreiche territoriale Autonomien für die dort lebenden Koreaner, Kasachen, Kirgisen u.a. Ethnien gab. Zum anderen konnten Rumänien, Ungarn oder die Tschechoslowakei mit ihren demokratischen bzw. kulturellen Verbänden der deutschen, ukrainischen u.a. Nationalitäten wichtige Anregungen vermitteln. Weiter folgte der Rückgriff auf die “goldenen” 1920er-1930er Jahre, als in der Sowjetunion die Belange der verstreut lebenden Minderheiten zur Geltung kamen, vor allem durch die Schaffung von nationalen Rayons oder Dorfräten. Schließlich schlug ich vor, diesen Ethnien das Recht auf Gründung entweder einer territorialen Autonomie oder eines kultur-politischen Verbandes zuzugestehen.

In mehreren weiteren Schriften betonte ich mit Nachdruck, daß das Etablieren eines neuen nationalterritorialen Gebildes in der Verfassung verankert und das ganze Verfahren gesetzlich geregelt werden sollte (vgl. Urtext russisch 10.11.88, Artikel deutsch vom 23.11.88). Durch diesen Schritt wäre die politische Benachteiligung der nichtautonomisierten Völker gegenüber den Titularnationen aufgehoben. Dabei diente ausgerechnet die erste Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 10. Juli 1918 als Beispiel: Artikel 11 räumte den Sowjets der Gegenden mit einer verschiedenartigen Bevölkerung das Recht ein, autonome territoriale Provinzen zu gründen. (54)

Für jeden mehr oder minder politisch engagierten Mensch war die Art und Weise, wie im Sowjetstaat wichtige Entscheidungen zustande kamen, zutiefst enttäuschend: Anstatt z.B. einen Gesetzentwurf öffentlich in parlamentarischen Gremien zu besprechen, inszenierte die Staats- und Parteispitze seit den 1920er Jahren in den Presseorganen regelmäßig quasidemokratische “Volksbesprechungen” (vsenarodnye obsuždenija), um dann im Auftrag von namenlosen “Werktätigen” ihre Auffassung vom politisch machtlosen Obersten Sowjet der UdSSR bestätigen zu lassen. Um so erfreulicher waren die ziemlich seltene Fälle, in denen einige Gedanken und Ideen, die man vorher schon mehrmals angesprochen hatte, auf Interesse stießen und zu konkreten Ergebnissen führen. Ein offiziell registrierter national-kultureller Verband hätte weitaus mehr Chancen, den legitimen Forderungen einer Minderheit Gehör zu verschaffen. Darauf kam ich erneut in einem ausführlichen Brief an die Redaktion des “Neuen Lebens” zu sprechen (Urtext russisch vom 03.11.88). Seine Publikation in russischer Sprache, wenn auch mit Kürzungen, fand große Zustimmung und regte zahlreiche, zum Teil kritische Besprechungen an (Artikel russisch vom 23.11.88], Artikel deutsch vom 01.1990). Soweit ersichtlich, spielte diese Veröffentlichung bei der Gründung der Gesellschaft “Wiedergeburt” im März 1989 eine nicht ganz unwesentliche Rolle. (55)

Neben den rechtlichen Fragen wurde die aktuelle sozioökonomische Situation der Volksgruppe angesprochen und die wirtschaftliche Bedeutung der künftigen Deutschen Republik für die ganze Sowjetunion unterstrichen. In mehreren Abhandlungen hob ich hervor, daß angesichts der in der UdSSR herrschenden national-staatlichen Struktur –15 Unionsrepubliken, 20 Autonome Republiken und 18 Autonome Kreise und Gebiete – das Fehlen eines nationalen Territoriums für die betroffene Ethnie mit schwerwiegenden sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist. Man verglich nun das Bildungsniveau oder die Berufsstruktur der Deutschen mit den der Russen, Kasachen oder Esten und stellte gravierende Unterschiede zugunsten der Letzteren fest. In der Stadt Karaganda z.B. machte die deutsche Minderheit mehr als 10% der Bevölkerung aus, aber nur 3% der Studentenschaft; in Kasachstan waren sie mit einem sechsprozentigen Anteil an der Bevölkerung die drittgrößte Ethnie, stellten aber nur 0,7% (!) der Mitglieder der Akademie der Wissenschaft dieser Unionsrepublik usw. Die Bemerkung eines Korrespondenten des populären Jugendblattes “Sobesednik” (Gesprächspartner), daß z.B. in Karaganda der durch die Emigration hervorgerufene “Kaderhunger” das reibungslose Funktionieren der Mühl- bzw. Konditoreifabrik sowie einer Reihe von anderen Betrieben gefährde, (56) provozierte mich zu einer scharfen Gegenfrage, ob die Auswanderung der Deutschen nicht auch denselben Kaderhunger in den Organen der Miliz oder der Verwaltung, in den Redaktionen der Zeitungen und Verlage, unter den Professoren und Dozenten der Universität und übrigen Hochschulen hervorrufe? (Urtext russisch vom 11.01.89).

Nach eingehender Schilderung des zum Teil erbärmlichen Zustandes der sozialen Fürsorge und der allgemeinen Lebensbedingungen der deutschen Dorfbevölkerung kam ich wieder zu einem provokativen Vergleich zwischen der sprachlichen, kulturellen und sozioökonomischen Situation der 900.200 Rußlanddeutschen in Kasachstan und der 947.800 Esten in Estland. (57) Die rhetorische Frage lautete: wieso haben die einen (Esten) mehrere nationale Theater, eine Universität, zahlreiche Museen, nationales Fernsehen, Dutzende Zeitschriften, Zeitungen und Verlage, eine regionale Akademie der Wissenschaft mit Hunderten promovierten und habilitierten Wissenschaftlern etc. neben einer gut entwickelten sozialen und Verkehrsinfrastruktur, den anderen (Deutschen) jedoch  nur ein Bruchteil davon zur Verfügung steht, obwohl sie in der Mentalität, Arbeitsethik und Leistungsbereitschaft den Esten nicht im geringsten nachstehen? Die Hauptursache dieser bestürzenden Diskrepanz lag meiner Meinung nach in der Tatsache, daß die Rußlanddeutschen – im Gegensatz etwa zu den Kasachen oder Esten – den Status eines nichtautonomisierten Volkes hatten. Somit wurde aufgrund des geltenden territorialstaatlichen Prinzips der Löwenanteil der von den Deutschen erbrachten Arbeitsleistung nicht für ihre sozialen oder kulturellen Bedürfnisse verwendet. Diese kämpferische Schrift war für die Redaktionsstuben von “Sobesednik” bzw. “Freundschaft”, die ebenfalls eine Kopie erhielt, zum damaligen Zeitpunkt wohl noch zu heikel und blieb somit ungedruckt.

In einigen anderen Aufsätzen legte ich den Schwerpunkt auf den Vergleich zwischen der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Lage auf dem Gebiet der ehemaligen ASSRdWD und der Situation in den 1930er Jahren. Dabei kam es zu einer starken Idealisierung der komplizierten Entwicklungen in der Wolgadeutschen Republik, zu einer maßlosen Überschätzung des tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungspotentials. (58) Unkritisch wurden propagandistische Erfolge einiger wolgadeutscher Stachanowleute übernommen und mit den gegenwärtigen Verhältnissen verglichen. (59) So sollte die Melkerin Katharina Grauberger 1937 angeblich 7.000 Liter Milch von jeder unter ihrer Aufsicht stehenden Kuh gemolken haben; der durchschnittliche Ertrag in den 1980er Jahren betrug um die 2.000 Liter. Für ihre Leistungen wurde sie mit dem Leninorden ausgezeichnet und in den Obersten Sowjet der UdSSR gewählt. Der Mähdrescherfahrer (Kombiner) Adolph Dening, ebenfalls ein Ordenträger und Abgeordneter des Nationalitätensowjets, erntete 1935 von 575 Hektar Land ganze 8.626 Doppelzentner Getreide, was wesentlich mehr sein sollte als heute usw. (Urtext russisch vom 02.10.88, Artikel deutsch vom 06.01.89). (60) Solche Gegenüberstellungen hätten als Vorwurf des ökonomischen Versagens der in der Wolgaregion ansässigen, in ihrer Mehrheit russischen Bevölkerung verstanden werden können.

Über die wirtschaftliche Bedeutung der ehemaligen und der künftigen Deutschen Republik ging es auch in dem Beitrag “Zur Frage der Politik und Ökonomie”, der in der Zeitung “Neues Leben” im Februar 1989 auf Russisch abgedruckt wurde (Urtext russisch vom 27.12.88, Artikel russisch vom 01.02.89). Eine Zitatenauswahl aus aktuellen Zeitungsartikeln, gesetzlichen Akten und literarischen Werken neben der Auswanderungsstatistik sollte die Argumente der Gegner einer deutschen Autonomie widerlegen und u.a. die wirtschaftliche Rentabilität des Wiederaufbaues der Republik unterstreichen. Das Fehlen eines autonomen Status wirkte sich nachteilig auch auf die sozioökonomische und vor allem kulturelle Entwicklung der hier ansässig gewordenen Bevölkerung aus. Hier verglich ich das kulturelle und Bildungspotential der Provinzstadt Engels, die derzeit nur eine Zeitung und eine Außenstelle der technischen Hochschule haben sollte, mit dem Zustand, der geherrscht hätte, wäre die ASSRdWD nicht aufgelöst worden. Als Hauptstadt einer Autonomen Republik hätte Engels bestimmt über eine Universität mit deutscher und russischer Unterrichtssprache, mehrere wissenschaftliche Institutionen und Hochschulen, eine ganze Reihe von Verlagen, Zeitungen und Zeitschriften, das Republikfernsehen, künstlerische und gesellschaftliche Verbände, russisch- und deutschsprachige Theater, eine Gemäldegalerie, Zentralmuseum usw. verfügt. An die Statistik der Volkszählung von 1970 anknüpfend, verwies ich darauf, daß die Bevölkerung solcher Städte wie Marx (vormals Marxstadt) oder Krasnoarmeisk (Balzer) noch nicht den Vorkriegsstand erreicht hatte. Diese Behauptungen brachten allerdings einige Erwiderungen aus dieser Region und es stellte sich heraus, daß die Einwohnerzahl der erwähnten Städten sich tatsächlich bis Ende der 1980er Jahre gegenüber der 1930er Jahre beinahe verdoppelt hatte.

Ungefähr im Mai 1989 bat mich die Jugendzeitung “Leninskaja smena” aus Alma-Ata, meine Überlegungen zu der Lösung des “deutschen Problems” ihrem Leserkreis vorzustellen. Im ersten Teil des Beitrages handelte es sich um einen geschichtlichen Abriß, angefangen mit der Einwanderung der Kolonisten in die Region der Unteren Wolga und der Gründung der ersten deutschen Siedlung Nischnjaja Dobrinka vor 225 Jahren. Aus dem gegebenen Anlaß ging ich auf die nicht immer friedliche Nachbarschaft der Neuankömmlinge mit den kalmückischen und kasachischen Nomaden ein, deren Überfälle die wolgadeutsche Folklore widerspiegelte. (61) 1914 schrieben Gottlieb von Göbel (Pseudonym von Pastor Gottlieb Beratz) und Lehrer Alexander Hunger sogar ein Bühnenstück darüber: “Fest und treu oder der Kirgisen-Michel und die schon‘ Ammie aus Pfannenstiel.” Ein Bursche namens Michel aus der Kolonie Pfannenstiel (später umgetauft in Mariental) wurde bei einem Überfall entführt und einem reichen Kirgisen (Kasachen) als Sklave verkauft. Durch gehor- und arbeitsames Benehmen gewann Michel das Vertrauen seines Herren, der ihn adoptieren und mit seiner Töchter Sulejka vermählen wollte. Sie liebte Michel, der aber war seiner Ammi (Anne-Marie) aus Pfannenstiel treu. Sulejka opferte sich und verhalft ihm somit zur Flucht. (62) So ein rührendes und gleichsam völkerverbindendes historisches Ereignis. Ende gut, alles gut. Leider ging diese Episode in den veröffentlichten Artikel nicht ein. In den weiteren Ausführungen wurde Wert auf die Feststellung gelegt, daß aus einer heterogenen Masse der zumeist deutschsprachigen Einwanderer unter ganz anderen geographischen, klimatischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Gegebenheiten als in ihren Ursprungsländern im Laufe von anderthalb Jahrhunderten im Unteren Wolgagebiet eine neue Ethnie des sog. “Übersiedlungstyps” entstanden war. Die Gewährung zunächst der Arbeitskommune, dann der Autonomen Republik sicherte den Wolgadeutschen ihre Gleichstellung im sowjetischen Vielvölkerstaat. (Urtext russisch vom 10.07.89, Artikel russisch vom 28.11.89).

Im zweiten Teil dieser Abhandlung versuchte ich aus der gesamtsowjetischen Perspektive die Vorteile der Wiederherstellung der Deutschen Autonomie zu erläutern. Aber zu diesem Zeitpunkt waren die Souveränitätsbestrebungen der Unionsrepubliken relativ weit vorangeschritten. Nach der Ablösung des Moskauer Statthalters Kolbin im Juni 1989 baute die neue Republikführung mit Nursultan Nasarbajew an der Spitze ihre von der Zentrale unabhängige Machtbasis sukzessive aus. In Bezug auf die Deutschen fehlte es nicht an Lippenbekenntnissen über geschichtliche Gerechtigkeit und die Notwendigkeit der Wiederherstellung des nationalen Territoriums am ursprünglichen Ort. Andererseits befürchtete man in Kasachstan durch die freigesetzte Wanderung negative Auswirkungen auf die einheimische Wirtschaft. Nebenbei spielten wohl etwaige Bedenken über mögliche Kürzungen der noch fließenden Unionszuwendungen eine Rolle: da die Migranten ihre Wohnungen, Häuser und Arbeitsplätze verlassen und so frei gewordene Ressourcen den Verbliebenen in Kasachstan zur Verfügung stehen würden, müßte womöglich ein Teil der finanziellen und materiellen Beihilfen zugunsten des Wiederaufbaues der Deutschen Autonomie umgeschichtet werden. So fanden dieser und eine Reihe ähnlicher Appelle in den kasachischen Medien keinen Widerhall.

In der Anlehnung auf den Vorschlag zur Gründung eines sowjetdeutschen Kulturvereins, der das Ziel hätte, die Bemühungen um die vollständige Rehabilitierung der Volksgruppe zu bündeln, verfaßte ich ein Jahr später einen Aufruf mit dem Titel “Noch einmal über die Konsolidierung der Kräfte”, der in den beiden deutschen Zeitungen abgedruckt wurde (Urtext russisch vom 01.10.89, Artikel russisch vom 18.10.89, Artikel deutsch vom 05.01.90). Bis zum Herbst 1989 war ich hinsichtlich einer vollständigen Rehabilitation der Volksgruppe noch voller, wenn auch gedämpfter Hoffnungen. Deshalb verurteilte ich scharf die Verzettelung der Nationalbewegung, die sich zur Verfolgung von mehreren Zielen gleichzeitig anschickte: Wiederherstellung der deutschen Autonomie an der Wolga oder im Gebiet Kalinigrad bzw. in Sibirien; Forderungen der Rückkehr auf die Krim oder in die Ukraine; Wieder- bzw. Neugründung von Landkreisen in Orenburg, Omsk und Altai. Der berühmt-berüchtigte deutsche Partikularismus, von gewissen “Organen” zusätzlich geschürt, zeigte sich in voller Blüte. Der Appell, sich auf das wesentliche zu konzentrieren, in erster Linie auf das Erlangen der territorialen Autonomie im Wolgagebiet, war im ganzen nicht mehr als Ausdruck der Hilflosigkeit. Zu heterogen stellte sich die deutsche Ethnie letztendlich heraus, um konsequent und beharrlich ein einheitliches Ziel zu verfolgen.

Die Konferenz “Sowjetdeutsche: Geschichte und Gegenwart”, die das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU im November 1989 in Moskau veranstaltete, bedeutete eine einschneidende Zäsur in meinem Leben. An dieser Tagung nahmen nicht nur Historiker, Ethnologen oder Politologen, sondern auch zahlreiche Parteifunktionäre, Abgeordnete, Regierungsbeamte, “Wiedergeburt”-Aktivisten u.a. Personen teil, die sich mit dem “deutschen” Problem in dieser oder jener Weise beschäftigten. Zum einen markierte sie das Ende der Aufklärungspublizistik und den Übergang zu einer gründlichen Aufarbeitung der rußlanddeutschen Geschichte durch professionelle Historiker. (63) Besonders die sich anbahnende Öffnung des bis dahin geschlossenen Archivs der Wolgadeutschen Republik in Engels eröffnete den Forschern ein kaum berührtes Betätigungsfeld. Zum anderen bot diese Tagung eine gute Gelegenheit, sich in Gesprächen mit Augenzeugen vor Ort über den massiven Widerstand der russischen Mehrheitsbevölkerung gegen die deutsche Autonomie zu informieren. Auch ablehnendes bzw. verzögertes Taktieren der zentralen Instanzen in bezug auf deutsche Angelegenheiten kam zur Sprache, vor allem bei der konkreten Umsetzung der gefaßten Beschlüsse. Somit wich meine vage Vermutung der festen Gewißheit, daß die Wiederherstellung der ASSRdWD auf dem Rechtsweg nicht zu verwirklichen sei. (64) Man stellte resignierend fest, daß in der Sowjetunion bzw. in Rußland nur solche verzweifelte Aktivitäten zum Erfolg führen können, die z.B. die Krim-Tataren mit der Schaffung von vollendeten Tatsachen demonstrierten: massenhaftes Übersiedeln auf die Krim, das eigenmächtige Zelten bzw. Bauen von Privathäusern auf Grundstücken ohne Genehmigung oder die Bereitschaft zur militanten politischen Protestaktionen (ordnungswidrige Kundgebungen, Sitzblockaden usw.). (65) Zu ähnlich kämpferischen Handlungen war die überwiegende Mehrheit der Rußlanddeutschen nicht bereit. Eine andere Mentalität, Belastungen aus der Zeit des “Großen Vaterländischen Krieges”, aber vor allem die vorhandene Alternative, nach Deutschland auszureisen und dort als gleichberechtigter Bürger in rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen einen Neuanfang zu wagen, war für diese Haltung verantwortlich. Auch ich persönlich war nicht geneigt, mit Kindern und Frau am Wolgaufer in einem Zelt oder einer Lehmhütte zu hausen und mich jahrelang der scharfen Konfrontation, Feindseligkeiten und Gewalt der ansässigen Bevölkerung und der Milizeinheiten zu widersetzten. Anderseits nahmen die interethnischen Spannungen in Kasachstan, Kirgisien und anderen Unionsrepubliken kontinuierlich zu. Die kulturelle Wiedergeburt und politische Aufwertung der Titularnation auf dem Weg zum souveränen und unabhängigen Staat fiel immer mehr zu Lasten der übrigen Bevölkerung, die u.a. aus sprachlichen Gründen (Nichtbeherrschung des jeweiligen Nationalidioms) fortan Diskriminierungen ausgesetzt wurde.

Somit erklärt sich meine Abkehr von der historischen und politischen Publizistik: es wäre schlicht unehrlich gewesen, die Mitmenschen für eine Sache zu mobilisieren, an die man selbst schon jeden Glauben verloren hat. Der gewalttätige Einmarsch der sowjetischen Militärtruppen in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku am 19. Januar 1990 gab mir den letzten Anstoß: die liberale Politik Gorbatschews schien sich offensichtlich jeden Augenblick in eine Diktatur  zu verwandeln. Kurz danach stellte ich einen Antrag an das Bundesverwaltungsamt, um die Erlaubnis zur Ausreise in die Bundesrepublik zu bekommen.

© Viktor Krieger, 2003

 

Anmerkungen:

    (1) “Einige Gedanken zur Geschichte der Sowjetdeutschen”, in: Neues Leben, Nr. 6 vom 3. Februar 1988; auszugsweise nachgedruckt in: Osteuropa, Jg. 38, 10/1988 (Osteuropa-Archiv, S. A428-A429). Auf russisch erschienen in: Neues Leben, Nr. 38 vom 14. September 1988. Vgl. auch den Aufsatz von Alfred Eisfeld: Zu jüngster Entwicklung der Autonomiebewegung der Sowjetdeutschen, in: Osteuropa,  Jg. 40, 1/1990, S. 11-32. Dokumentation zu der Autonomiebewegung ebenfalls in diesem Heft, Teil: Osteuropa-Archiv, A1-A24

     (2) Die Volkszählung von 1989 registrierte im Gebiet Kemerowo 47.990 Personen deutscher Nationalität. Ihr Urbanisierungsgrad betrug 81,2% und war einer der höchsten in der Russischen Föderation. Entsprechend hoch war der Anteil derer, die nur Russisch beherrschten; lediglich 32,0% gaben Deutsch als Muttersprache an, in: Nacional’nyj sostav naselenija RSFSR po dannym Vsesojuznoj perepisi naselenija 1989 g. [Nationale Zusammensetzung der Bevölkerung der Russischen Föderation nach den Angaben der Allunions-Volkszählung 1989]. M. 1990, S. 541-544. Zum Vergleich: Die deutsche Bevölkerung des Gebiets Orenburg, die mit 47.556 Personen an dieselbe Größe heranreichte wie in Kemerowo, war vorwiegend agrarisch strukturiert (62,5%). Auf dem Lande lebte der Großteil der Deutschen in den ehemaligen Tochterkolonien, die noch vor dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden. Deswegen zeichnete sich hier eine verhältnismäßig gute sprachliche Situation ab: 65,8% gaben Deutsch als Muttersprache an, in: ibid., S. 484-487.

     (3) “Čto pomnjat o sebe nemcy?”, in: Kuzbass (Kemerovo) vom 5. August 1987

     (4) “Čto že oni pomnjat?” [Woran können sie sich denn erinnern], in: Kuzbass vom 13. November 1987

     (5) Ein offener Brief der Vorsitzender der deutschen Organisation im Gebiet Kemerowo, K. Hartmann, A. Fogel und A. Mauerer, mit einem Kommentar des Redaktionskollegiums, in: Kuzbass vom 19. März 1989.

     (6) Viktor Bruhl: Die Deutschen in Sibirien. Eine hundertjährige Geschichte von der Ansiedlung bis zur Auswanderung. Band 2. Nürnberg etc. 2003, S. 410-411, Vgl.: Brul‘ V. (Viktor Bruhl): Nemcy v Zapadnoj Sibiri. Čast‘ 2 [Deutsche in Westsibirien. Teil 2]. Topčicha 1995, S. 164-166.

     (7) Vgl. sein Büchlein mit der Verurteilung der “bourgeoisen”, vornehmlich westdeutschen Publikationen über die Nationalitätenpolitik in der UdSSR: Vol’ter G.: Logike i razumu vopreki ili kak na Zapade izvraščajut nacional’nye otnošenija v SSSR [Wider Logik und Verstand oder wie im Westen die nationalen Beziehungen in der UdSSR pervertiert wurden]. Frunze 1988. Man soll allerdings in Betracht ziehen, daß nach den üblichen sowjetischen Publikationsfristen das Manuskript bestimmt noch im Jahr 1986 zum Druck vorgelegt werden mußte

     (8) Vol’ter G.: Zona polnogo pokoja”. Izdanie 2-e, dopolnennoe i ispravlennoe [Die Zone der totalen Ruhe. 2., erweiterte und verbesserte Ausgabe]. M. 1998; Gerhard Wolter: Die Zone der totalen Ruhe. Die Rußlanddeutschen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Augsburg 2003.

     (9) Istorija gorodov i sel Ukrainskoj SSR. Odesskaja oblast‘ [Geschichte der Städte und ländlichen Siedlungen der Ukrainischen SSR. Gebiet Odessa]. Kiev 1979, s. 675.

     (10) Al’bert Plutnik: Nevol’nik česti [Gefangener der Ehre], in: Izvestija, Nr. 121 vom 30. April 1988

     (11) Über die Periode des Ersten Weltkrieges gibt es inzwischen einige russische Untersuchungen, vgl.: Nemeckij vopros v gody Pervoj mirovoj vojny, in: Obolenskaja S.: Germanija i nemcy glazami russkich (XIX vek) [Deutschland und Deutsche aus russischer Sicht (19. Jahrhundert)]. M. 2000, S. 156-189

     (12) Iz neopublikovannych dnevnikov V.G. Korolenko [Aus den unveröffentlichten Tagebüchern] (1916-1917), in: Niva (Leningrad), 6/1966, S. 66-69, hier S. 67-68.

     (13) O kapitane Kjunene [Über Kapitän Kühnen], in: Russkie Vedomosti [Russische Nachrichten], Nr. 258 vom 8. November 1916. Nachdruck in: Neues Leben, Nr. 46 vom 6. November 1989.

     (14) O.-P. Vajdman: Komu nužny “pozdnie vozvraščency na rodinu”. Kak zapadnaja propaganda s pomošč’ju mifov pytaetsja sklonit‘ k emigracii sovetskich nemcev [Wer braucht die Spätheimkehrer. Wie die westliche Propaganda mit Hilfe von Mythen die Sowjetdeutschen zur Ausreise zu bewegen versucht], in: Partijnaja žizn‘ Kazachstana [Parteileben in Kasachstan], 5/1989, S. 79-82.

     (15) Es handelte sich um folgende Darstellung von Matthias Hagin: Die Hungersnot in den wolgadeutschen Kolonien von 1920 bis 1924 und die Hilfsleistung der wolgadeutschen Vereinigungen und anderer Organisationen in Deutschland und Amerika, in: Heimatbuch der Deutschen aus Rußland 1973-1981. Stuttgart o.J., S. 56-96.

     (16) Benjamin Pinkus: Die Deutschen in der Sowjetunion beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, in: ibid., S. 9-19.

     (17) Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russischer Kulturgemeinschaft. Stuttgart 1986; Benjamin Pinkus, Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen in der Sowjetunion. Geschichte einer nationalen Minderheit im 20. Jahrhundert. Baden-Baden 1987.

     (18) Siehe z.B. Wolfgang Leonhard: Die Reform entläßt ihre Väter: der steinige Weg zum modernen Rußland. 1994, S. 97-105.

     (19) Isaak Babel: Prosa. Berlin 1983, S. 459-473.

     (20) Ein verkürzter Nachdruck dieses Artikels erschien später in der Jugendzeitung “Molodost’ Sibiri” [Sibiriens Jugend], Novosibirsk am 10. Juni 1989.

     (21) Vgl. solche Darstellungen wie: Bejsembaev S.: Lenin i Kazachstan [Lenin und Kasachstan] (1897-1924). Alma-Ata 1968; Lunin B.: V.I. Lenin i narody Srednej Azii [Lenin und die Völker Mittelasiens]. Taškent 1967 etc.

     (22) Die wachsende kritische Auseinandersetzung mit dem Gründer des Sowjetstaates während der Regierungszeit von Gorbatschew analysiert Benno Enker: Ende des Mythos? Lenin in der Kontroverse, in: Dietrich Geyer (Hg.): Die Umwertung der sowjetischen Geschichte. Göttingen 1991, S. 54-74.

     (23) Zitiert nach: Boris Meissner: Nationalitätenfrage und Sowjetideologie, in: Georg Brunner, Boris Meissner (Hrsg.): Nationalitätenprobleme in der Sowjetunion und Osteuropa. Köln 1982, S. 11-44, hier S. 39; ders.: Nationale Autonomie und Minderheitenschutz in der Sowjetunion, in: Dieter Blumenwitz und Hans von Mangoldt (Hrsg.): Neubestätigung und Weiterentwicklung von Menschenrechten und Volksgruppenrechten in Mitteleuropa. Köln 1991, S. 95-110.

     (24) Gerhard Simon: Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Von der totalitären Diktatur zur nachstalinschen Gesellschaft. Baden-Baden 1986, S. 29-30; Wolfram Gärtner: Die Erscheinungsformen der Sowjetautonomie, in: Recht in Ost und West 34 (1990), S. 228-238.

     (25) Zitiert nach: Gerhard Simon, op. cit., S. 30.

     (26) Diese Richtung ist vor allem mit dem Namen des Anthropologen und Ethnologen Jurij Bromlej verbunden. Vgl. sein Buch: Etnos i etnografija. M. 1973. Deutsche Übersetzung: Julian V. Bromlej: Ethnos und Ethnographie. Berlin (Ost) 1977 

     (27) Malinovskij L.: Nemnogo teorii [Ein wenig Theorie], in: Neues Leben, Nr. 3/1989 und Leserstimmen darüber in: ibid., Nrn. 10, 13/1989.

     (28) Unsere Übersetzung aus: KPSS v rezoljucijach i rešenijach s’ezdov, konferencij i plenumov CK. Tom 2. [Die KPdSU in den Resolutionen und Beschlüssen der Kongresse, Konferenzen und Tagungen des Zentralkomitees]. M. 1970, 8-e izdanie [8. Ausgabe], 1970, S. 251-252.

     (29) Vgl.: Bersina M.: Formirovanie etničeskogo sostava naselenija Kanady [Die Formierung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung Kanadas]. M. 1971

     (30) Boltenkova L.: Internacionalizm v dejstvii [Internationalismus in der Aktion]. M. 1988, S. 59.

     (31) Ausführlich darüber in: Uwe Halbach: Ethnische Beziehungen in der Sowjetunion und nationale Bewußtseinsprozesse bei Nichtrussen. Berichte des BIOst, Nr. 8/1989, v.a. S. 10-13.

     (32) Eine kleine Auswahl der einschlägigen Veröffentlichungen: Mahulena Hoškova: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Rußland, in: Jochen Abr. Frowein, Rainer Hofmann, Stefan Oeter (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staaten. Teil 2. Berlin etc. 1994, S. 246-285; Carmen Schmidt: Der Minderheitenschutz in der Rußländischen Föderation, Ukraine und Republik Weißrußland: Dokumentation und Analyse. Bonn 1994; Bernhard Koplin: Nationale und ethnische Minderheiten im Verfassungsrecht der osteuropäischen Staaten. Eine rechtsvergleichende Darstellung. Berlin 1995; Georg Brunner: Minderheitenrechte in der Rußländischen Föderation, in: Andreas Kappeler (Hrsg.): Regionalismus und Nationalismus in Rußland. Baden-Baden 1996, S. 289-308.

     (33) Vgl.: Naumova O., Češko S.: Sovremennye etnokul’turnye processy u kazachov i nemcev Kazachstana (opyt sravnitel’nogo analiza) [Gegenwärtige ethnokulturelle Prozesse unter den Kasachen und Deutschen in Kasachstan (Versuch einer vergleichenden Analyse)], in: Etnokul’turnye processy v nacional’no-smešannoj srede [Ethnokulturelle Prozesse in einer gemischtnationalen Umgebung]. M. 1989, S. 30-77.

     (34) Češko S.: Vremja stirat‘ “belye pjatna” [Zeit zum Ausradieren der “weißen Flecken”], in: Sovetskaja etnografija, 6/1988, S. 3-15; Sergej Tscheschko: Perspektiven für die Lösung der deutschen Frage in der Sowjetunion, in: Peter Hilkes, Peter Marikucza (Hrsg.): Förderungsmöglichkeiten für Deutsche in der ehemaligen Sowjetunion. Beiträge einer Expertenkonferenz, 2.-4. Dezember 1991, München. München 1992, S. 21-33.

     (35) Der Briefwechsel befindet sich im Privatarchiv des Verfassers.

     (36) Rossijskie nemcy i nacional’nye men’šinstva Evropy. Materialy meždunarodnoj naučno-praktičeskoj konferencii “Buduščee rossijskich nemcev”, 19-21 oktjabrja 1994 goda [Die Rußlanddeutschen und nationale Minderheiten in Europa. Beiträge der internationalen wissenschaftlich-praktischen Konferenz “Zukunft der Rußlanddeutschen”, 19-21. Oktober 1994]. M. 1995, S. 22-27.

     (37) Češko S. Raspad Sovetskogo Sojuza. Etnopolitičeskij analiz [Zerfall der Sowjetunion. Ethnopolitische Analyse]. M. 2000 (unveränderte Neuauflage der Edition 1996)

     (38) Malinovskij L.: Nemeckaja derevnja v Sibiri v period socialističeskogo stroitel’stva. Avtoreferat diss. ... kandidata istoričeskich nauk [Das deutsche Dorf in Sibirien zur Zeit des sozialistischen Aufbaues. Thesenpapier der Promotionsschrift zum Erlangen des Grades eines Kandidaten(Doktoren) der Geschichtswissenschaften]. Tomsk 1967

     (39) Malinovskij L.: Trudnyj put‘ [Beschwerlicher Weg], in: Altajskaja pravda [Die Wahrheit Altais] (Barnaul) vom 24. November 1988. Dieser Artikel schloß die beiden vorangegangenen Beiträge ab, die die Geschichte der Deutschen in der Region Altai seit den 1890er Jahren beleuchteten (Na volnach revoljucii. Stranicy istorii nemeckogo naselenija Altaja [Auf den Wogen der Revolution. Seiten der Geschichte der deutschen Bevölkerung in Altai], in: ibid, vom 14. September und 13. Oktober 1988)

     (40) Seine soziologischen Untersuchungen der Sibiriendeutschen, die er an der Akademie der Wissenschaften Ende der 1960er Jahre im Rahmen der sog. “Nowosibirsker Soziologischen Schule” (darüber in Anm. 7a, Kapitel 1) durchführte, waren praktisch die einzigen Arbeiten dieser Art in der Sowjetunion, die lediglich auszugsweise in der Zeitung “Neues Leben” erscheinen durften, vgl.: Osteuropa-Archiv 21 (1971), S. A169-A171, A176ff. Westlichen Forschern dienten diese Zeitungsartikel als eine der wenigen aussagekräftigen Publikationen über die wirtschaftliche und soziale Situation der Rußlanddeutschen nach dem Krieg, siehe z.B.: Benjamin Pinkus, Ingeborg Fleischhauer, op. cit., S. 396ff.

     (41) Die knappe Beschreibung der Entwicklung der Kolonisten im Schwarzmeer- und Wolgagebiet vor 1917 konnte nur in einem Literaturalmanach auf deutsch publiziert werden: Die Einwanderung, in: Heimatliche Weiten (Moskau) 1/1981, S. 234-256; Leben und Weben der Altkolonisten, in: ibid., 2/1981, S. 246-262; Die Zeit der Reformen, in: ibid., 1/1982, S.250-266; Steppler und Bettler, Fabrikanten und Proleten, in: ibid., 2/1982, S. 226-247; Auf den Wogen des neuen Jahrhunderts, in: ibid., 1/1983, S. 253-274.

     (42) K 75-letnemu jubileju L.V. Malinovskogo [Zum 75jährigen Jubiläum von Lew Malinowski], in: Wissenschaftliches Informationsbulletin – Naučno-informacionnyj bjulleten‘ (Moskva), 1 (21)/2000, S. 16-17.

     (43) Malinovskij L.: Social’no-ekonomičeskaja žizn‘ nemeckoj kolonistskoj derevni v Južnoj Rossii (1762-1917 gg.). Avtoreferat diss. ... doktora istoričeskich nauk [Sozioökonomisches Leben des deutschen Kolonistendorfes in Südrußland (1762-1917). Thesenpapier der Habilitationsschrift zum Erlangen des Doktorgrades (habil.) der Geschichtswissenschaften]. Leningrad 1986

     (44) Typisch dafür war ein Meinungsstreit mit dem bekannten Literaten Woldemar Ekkert im Jahr 1987 über die Literaturgeschichtsschreibung, vgl. dazu: Annelore Engel-Braunschmidt: Identitätsbildende Faktoren bei den Deutschen in der Sowjetunion seit Beginn der Perestrojka, in: Osteuropa, Jg. 38, 10/1988, S. 915-930, hier S. 925ff.; Josef Schleicher: Autonomiebewegung: provinzielle Träume. M. 1996, S. 51-63.

     (45) Archivy svidetel’stvujut [Archivdokumente bezeugen], in: Neues Leben, Nr. 40 vom 27. September 1989 (russisch)

     (46) Einige Wochen später stand auf dem September-Plenum der Partei des Jahres 1989 zum ersten Mal seit 1923 die Nationalitätenproblematik im Mittelpunkt der Diskussionen. Auszüge aus den Beiträgen der Teilnehmer, der Vortrag von M. Gorbatschew und die verabschiedete Plattform der KPdSU ”Die Nationalitätenpolitik der Partei unter den gegenwärtigen Bedingungen” vom 20. September 1989 auf deutsch in: Gert Meyer (Hrsg.) Nationalitätenkonflikte in der Sowjetunion. Köln 1990, S. 213-301.

     (47) Vgl. dazu Vol’ter G.: Emigranty. Počemu pokidajut stranu sovetskie nemcy [Emigranten. Wieso verlassen die Sowjetdeutschen das (Sowjet)Land], in: Literaturnyj Kirgizstan, 8/1989, S. 112-126.

     (48) Manfred Klaube: Die deutschen Dörfer in der westsibirischen Kulunda-Steppe. Entwicklung – Strukturen - Probleme. Marburg 1991 (Schriftenreihe der Kommission für Ostdeutsche Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V.; Bd. 57), S. 166. Am 22. Oktober 1990 erfolgte die Deklaration der Souveränität von Gorny Altai. Der Erlaß des Präsidenten Jelzin vom 3. Juli 1991 erhob vier ehemalige autonome Gebiete, darunter auch Gornyi Altai, in den Rang einer Republik im Bestand der Russischen Föderation. Somit wurden sie nicht mehr den entsprechenden Regionen unterstellt. Texte der Deklaration und des Erlasses in: Pamjat‘ naroda: 70 let Gorno-Altajskoj avtonomnoj oblasti. Dokumenty i materialy po social’no-ekonomičeskomu i kul’turnomu razvitiju [Erinnerung des Volkes. 70 Jahre des autonomen Gebiets Gorno-Altai. Dokumente und Beiträge zur sozioökonomischen und kulturellen Entwicklung]. Gorno-Altajsk 1993, S. 546-548, 602-604.

     (49) Svodnyj analitičeskij otčet. K voprosu ob obrazovanii nemeckoj nacional’noj avtonomii na Altae [Zusammengesetzter analytischer Bericht. Zur Frage der Bildung einer deutschen nationalen Autonomie in Altai]. Barnaul 1990; Manfred Klaube, op. cit., S. 156-162.

    (50) Konstitucija (Osnovnoj zakon) Avtonomnoj zemli sovetskich nemcev (proekt) [Verfassung (Grundgesetz) des Autonomen Landes der Sowjetdeutschen (Entwurf)], in: Svodnyj analitičeskij otčet..., S. 52-58.

     (51) Manfred Klaube: Der Deutsche Nationalkreis Halbstadt in Westsibirien. Probleme und Zukunftsperspektiven, in: Osteuropa Jg. 49, 9/1999, S. 923-934, v.a. S. 931-932.

     (52) Uwe Halbach: Nationale Frage, Souveränität, Föderation. Schwerpunkte der innersowjetischen Diskussion 1988-1990. Berichte des BIOst, Nr. 40/1990

     (53) Die sowjetischen Geschichtsdiskussionen rund um die 19. Unionsparteikonferenz, die im Juni 1988 stattfand analysiert von: Robert W. Davies: Perestrojka und Geschichte. Die Wende in der sowjetischen Historiographie. München 1991, S. 184-200.

     (54) Der Text dieser Verfassung und Kommentar dazu bei: Bodo Dennewitz, Boris Meissner (Hr.): Die Verfassungen der modernen Staaten. Eine Dokumentensammlung. Band 1. Hamburg 1947, S. 164-179.

     (55) Alfred Eisfeld (1990), op. cit., S. 25; Josef Schleicher, op. cit., S. 110-115. Ein Teil der Zuschriften auf den Artikel im Privatarchiv des Autors und abgedruckt in: Neues Leben, Nr. 10 vom 1. März 1989.

     (56) Sud’by i ljudi [Schicksale und Menschen], in: Sobesednik (Moskau), Nr. 52/1988, S. 12-13 (Interview mit Konstantin Ehrlich, Chefredaktor der Zeitung “Freundschaft”)

     (57) Čislennost‘ i sostav naselenija SSSR. Po dannym Vsesojuznoj perepisi 1979 goda [Anzahl und Zusammensetzung der Bevölkerung der UdSSR. Nach Angaben der Allunionsvolkszählung von 1979]. M. 1985, S. 116, 136.

     (58) Vgl. dazu: German A.: Nemeckaja avtonomija na Volge. Čast‘ 2. Avtonomnaja respublika. 1924-1941 [Deutsche Autonomie an der Wolga. Teil 2. Autonome Republik 1924-1941]. Saratov 1994

     (59) Ziele, Aufgaben und Vorgehensweise der Parteiführung, nach der gewaltsamen Kollektivierung eine dem herrschenden Regime ergebene Schicht unter der Landbevölkerung zu schaffen, sind ausführlich dargestellt in der Studie von Stephan Merl: Sozialer Aufstieg im sowjetischen Kolchossystem der 1930er Jahre? Über das Schicksal der bäuerlichen Parteimitglieder, Dorfsowjetvorsitzenden, Posteninhaber in Kolchosen, Mechanisatoren und Stachanowleute. Berlin 1990 (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens; 173)

     (60) Rückmeldung auf den Zeitungsartikel von Savel’ev V.: Gor’kie jabloki sorok pervogo [Bittere Äpfel des Jahres 1941], in: Sel’skaja žizn‘ [Dorfleben] vom 6. September 1988; deutsche Übersetzung in: “Neues Leben” vom 21. September und “Freundschaft” vom 10. September 1988

     (61) Die bekannteste Überlieferung stellte die Fassung von Pastor Friedrich Dsirne aus dem Jahr 1861 “Schön Ammi von Mariental und der Kirgisenmichel. Ein Wolga-Steppenbild aus dem 18. Jahrhundert”, die zuletzt mit Kommentaren von Annelore Engel-Braunschmidt nachgedruckt wurde: Siedlernot und Dorfidyll. Kanonische Texte der Rußlanddeutschen. Berlin/Bonn 1994, S. 21-45.

     (62) Vgl. Woldemar Ekkert: Die Literatur der Rußlanddeutschen bis 1917 und der Sowjetdeutschen von 1917 bis 1957, in: Anthologie der sowjetdeutschen Literatur. Band 1. Alma-Ata 1981, S. 9-55, hier S. 16-17. Das Stück wurde nachgedruckt in der Zeitung “Neues Leben”, Nrn. 30-32, 35-37, 41, 45/1989

     (63) Ausführliche Information über diese Konferenz bei Smykov F.: Sovetskie nemcy: istorija i sovremennost‘ [Sowjetdeutsche: Geschichte und Gegenwart], in: Voprosy istorii KPSS [Fragen der Geschichte der KPdSU] 2/1990, S. 143-151. Der Sammelband mit den gehaltenen Referaten erschien ein Jahr später: Sovetskie nemcy: istorija i sovremennost’. Materialy vsesojuznoj naučno-praktičeskoj konferencii. Moskva, 15-16 nojabrja 1989 g. [Sowjetdeutsche: Geschichte und Gegenwart. Beiträge der wissenschaftlich-praktischen Allunionskonferenz, Moskau, 15.-16. November 1989]. M. 1990

     (64) Vgl. dazu: Alfred Eisfeld: Teilerfolge und Rückschläge für die Autonomiebewegung der Sowjetdeutschen, in: Osteuropa, Jg. 40,  9/1990, S. 849-863.

     (65) Diese Vorgehensweise seit den 1960er Jahren wird in einigen Dokumenten aus den russischen und ukrainischen Archiven bzw. privaten Sammlungen veranschaulicht, vgl.: Krim’ski tatari 1944-1994 rr. Statti. Dokumenti. Svidčennja očevidcev [Krimtataren 1944-1994. Aufsätze, Dokumente, Zeugenberichte]. Kiiv 1995 (auf russisch und ukrainisch); Guboglo M., Červonnaja S. Krymsko-tatarskoe nacional’noe dviženie. Tom I. Istorija. Problemy. Perspektivy. Tom II. Dokumenty. Materialy. Chronika [Krimtatarische Nationalbewegung. Band 1. Probleme. Perspektiven. Band 2. Dokumente. Beiträge. Chronik der Ereignisse]. M. 1992